Herrgottschrofen
von seiner Spähposition und wartete auf der anderen Seite der Brücke darauf, dass sich der Filmproduzent Brechtl nach getaner Arbeit in Richtung seines trauten Heimes aufmachte.
Wie ein Paar, das nach einem langen Leben die letzten schönen Jahre gemeinsamen genießt, schlenderten Jo Saunders und Martin Bruckmayer Arm in Arm durch die Garmischer Fußgängerzone.
»Hier hat sich alles sehr verändert«, sagte Jo Saunders. »Die Alte Apotheke steht noch, aber sonst?« Sie gingen schweigend ein paar Meter weiter, dann ergriff sie erneut das Wort: »Ich bin froh, dass du dich wieder beruhigt hast.«
»Manchmal, da bin ich ein bisserl impulsiv, ich weiß. War ja schon immer so. Du kennst mich.« Ein paar Stunden nach seinem Auftritt bei Veit Gruber schämte sich Martin Bruckmayer für sein eigenes Verhalten.
»Allerdings«, sagte Jo Saunders. »Wie du damals dem Wanninger beinahe den Schädel eingeschlagen hättest.«
»Ich, dem Wanninger Sepp? Wann wär das gewesen?«
»Irgendwann damals in der Casa. Erinnerst du dich nicht? Um das ganze Eisstadion herumgeprügelt hast du ihn. Er ist, glaube ich, der Franziska zu nahe gekommen.«
»Ah, jetzt weiß ich’s wieder. Angetatscht hat er sie, der Sauhund. Unter den Bedienungsrock gelangt. Die waren ja kürzer, als es die Polizei erlaubte. Und das damals. Hat sich ja irgendwann in den Siebzigern mit seinem Porsche am Gsteig oben darennt, der Wanninger. Aus der Schwabekurve hat’s ihn rausgedreht. In Immobilien hat er gemacht, und viel Geld soll er verdient haben. Und sein Ende hat er auch verdient. Würde mich nicht wundern, wenn irgendein gehörnter Ehemann ihm die Bremsleitungen durchgezwickt hätte.«
»Martin, du regst dich ja schon wieder auf. Ist doch alles ein halbes Jahrhundert her.«
»Manche Sachen verjähren nicht.«
»Du warst schon in die Franziska … verliebt, damals?«
»In die Franziska?« Martin Bruckmayer blieb stehen und sah sie fassungslos an. »In die Franziska? Jo! Josepha! Das ist nicht dein Ernst. Du weißt es sechzig Jahre später immer noch nicht? Sag, dass das nicht wahr ist.«
»Martin … du und ich … wir sind im gleichen Monat geboren. Wir sind zusammen aufgewachsen und kennen uns, seitdem wir laufen können. Wir waren wie Geschwister. Wir sind wie Geschwister, Martin.«
»Das sind Eheleute doch auch irgendwann, oder nicht? Ich wollte immer nur dich, Josepha. Und keine andere. Ich habe nie geheiratet. Du schon.«
Jo Saunders stand wie vom Donner gerührt. »Du warst in mich verliebt?«
»Was heißt da ›verliebt‹? Was heißt da ›war‹? Ich liebe dich, Josepha Stiller.«
Eine halbe Ewigkeit standen sie sich bewegungslos gegenüber.
Jo Saunders zeigte auf die Konditorei Krönner. »I could use a drink. How ’bout you? Die servieren da Rum sicher auch ohne Tee.«
Kapitel 9
Es war ein höchst aufschlussreicher Tag für Karl-Heinz Hartinger. Die morgendliche Sportstunde im Fitnessraum hatte er dazu genutzt, sich von seinem Freund Markus in die Feinheiten des Knastbetriebs einweisen zu lassen. Was war dran an dem Gebot, sich nicht nach der Seife zu bücken? Wer hatte unter den Gefangenen das Sagen? Vor wem musste man sich in Acht nehmen?
Markus versprach Hartinger beizubringen, wie er die Mitgefangenen »lesen« konnte, wie er es nannte. Hinter Gittern gab es ganz andere Codes als draußen. Hier konnte der, der zurückgezogen und still vor sich hin lebte, in Wahrheit der gefährlichste Killer sein, der nur auf die Gelegenheit wartete, einem an die Gurgel zu gehen. Und der größte Lautsprecher konnte in Wirklichkeit die Hosen gestrichen voll haben und schützte sich vielleicht nur durch die Mauer aus Gewalt, die er um sich herumzog.
Eins sei unbestritten, erklärte Markus, während er Hartinger beim Bankdrücken die Langhantel sicherte: dass der Knast die Menschen eher schlechter als besser machte. Denn der von Haus aus Gewalttätige habe einen Startvorteil, den der Sanftmütige schnell aufzuholen hatte, wollte er nicht zum Spiel der Wellen werden. Nur ganz wenige brächten das Kunststück fertig, sich außerhalb der Gewaltspirale ihre Nische zu schaffen. Ja, manche der Häftlinge hätten tatsächlich Respekt vor anderen Mitgefangenen, auch wenn diese keine gefährlichen Gewaltverbrecher waren. Zum Beispiel, weil sie unglaublich schlau waren. Davor hätten die meisten Knackis Respekt, referierte Markus. Denn irgendwie hielten sie sich alle für schlau.
Die meisten starteten ihre kriminellen Karrieren genau deshalb: weil
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