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Herrgottschrofen

Herrgottschrofen

Titel: Herrgottschrofen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Ritter
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nicht wie üblich seinen langen weißen Kittel, weshalb sie ihn beinahe nicht erkannt hätte. Er sah mit seinem sportlich-gepflegten Outfit sehr attraktiv aus für sein Alter, wie Dorothee Allgäuer fand.
    »Herzlichen Dank, dass wir alle am späten Freitagnachmittag noch zusammenkommen können. Mir war es wichtig, noch vor dem Wochenende zu Ihnen zu sprechen, denn nach diesem Wochenende wird das Institut ein anderes sein.«
    Ein Raunen und Tuscheln ging durch die Sitzreihen. Der Professor wartete so lange, bis alle Zuhörer ihre Vermutungen darüber, was kommen würde, ausgetauscht hatten. Als dann endlich wieder gespannte Stille herrschte, fuhr er fort.
    »Die vergangenen vier Wochen waren eine besondere Zeit für Sie und mich an diesem Institut. Besonders schwierig. Aber auch besonders lehrreich. In dieser Krisensituation haben wir über den anderen mehr erfahren, als es uns in fünf Jahren der harmonischsten Zusammenarbeit möglich war. Ich wünsche mir, dass Sie diese Erfahrungen positiv sehen. Denn unterm Strich kann man durchaus mit einigem Stolz sagen: Unser Institut war Anfeindungen von außen ausgesetzt, doch wir haben zusammengestanden und sind durch diese Situation näher zusammengerückt. Ich bin stolz auf Sie. Dennoch möchte ich eine solche Zeit nicht noch einmal durchmachen.«
    Professor Marchsteiner löste sich vom Seziertisch, an dem er lässig mit dem Rücken gelehnt hatte, und trat drei Schritte nach vorn auf die nach hinten ansteigenden Stuhlreihen zu.
    »Darum habe ich mich entschlossen, nach diesem Semester meine praktische Arbeit und meine Lehrtätigkeit einzustellen. Ich werde mich auf die Forschung konzentrieren. Am Laboratoire de Sciences Judiciaires et de Médecine Légale in Montreal ist eine Austausch-Professur frei geworden. Ich habe mich schon vor längerer Zeit dort beworben, und nun scheint es zu klappen. Und ich nehme die Chance wahr. Jemandem, der die sechzig überschritten hat, bietet sich eine solche Gelegenheit nicht mehr oft.«
    Zunächst saßen die Mitarbeiter wie eingefroren an den Tischen. Dann begann einer, mit den Fingerknöcheln auf den Tisch zu klopfen. Immer mehr fielen in einen nicht enden wollenden akademischen Applaus ein.
    »Sind Sie so froh, dass ich gehe?«, fragte Professor Marchsteiner lächelnd in den Lärm hinein. »Danke, danke, ich weiß Ihren Zuspruch sehr zu schätzen. Danke, dass Sie meine Entscheidung nicht ablehnen.«
    Die Ersten standen auf und begannen zu klatschen. Auch das machte ihnen der Rest nach, und selbst Dorothee Allgäuer beugte sich schließlich dem Gruppenzwang.
    »Jetzt ist’s aber gut«, sagte Professor Marchsteiner. »Ich bin ja noch ein paar Monate da.« Doch der Beifall, der der Lebensleistung des Professors galt, brach nicht ab. Er machte beschwichtigende Handbewegungen. »Bitte setzen Sie sich doch.«
    Als schließlich wieder Ruhe eingekehrt war, sagte er: »Ich habe mir diese Entscheidung nicht leicht gemacht, wie Sie sich vorstellen können. Und sie ist nicht erst in den letzten Wochen gereift, sondern steht schon länger fest. Doch in den letzten beiden Wochen dachte ich, dass ich sie revidieren müsste, um den guten Ruf dieses Instituts wiederherzustellen. Man haut nicht ab, wenn das Institut in der Krise steckt. Daher bin ich heute umso glücklicher, Ihnen mitteilen zu können, dass die Vorwürfe, die gegen uns erhoben wurden, nicht nur entkräftet, sondern vollständig ausgeräumt worden sind. Mehr dazu werden Sie sicher der morgigen Presse entnehmen können. Nur um eines möchte ich Sie bitten: Geben Sie sich selbst einen Stoß und vergessen Sie alle Vorverurteilungen, die sich Ihnen vielleicht gegenüber dem einen oder anderen Mitarbeiter aufgedrängt haben. Niemand an diesem Institut hat mit der Sache etwas zu tun.«
    Dorothee Allgäuer sah deutlich, dass der Blick des Professors in einem großen Bogen um ihre Person herum ging. Es bereitete ihm sichtlich Mühe, sie nicht anzusehen. Und ganz gelang es ihm auch nicht: Am Schluss seiner Erklärung kreuzten sich ihre Blicke.
    »Am Montag«, so Professor Marchsteiner weiter, »beginnt die Transitionsphase zwischen mir und dem neuen Leiter dieses Instituts. Wer das sein wird, werden Sie rechtzeitig erfahren. Mir bleibt nur noch, bekannt zu geben, dass es eine Veränderung in der Geschäftsführung des Instituts geben wird. Mit sofortiger Wirkung ist Ihre Kollegin Dr. Dorothee Allgäuer stellvertretende Verwaltungsdirektorin des Gerichtsmedizinischen Instituts.«
    Kaum dass

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