Herrgottschrofen
gestiegen war, war er noch im Bahnhof in den Suldinger Tomboy gelaufen, der sich gerade am Kiosk mit einem Zigarettenvorrat eingedeckt hatte. »Für mich und meinen Bruder«, hatte er zu seiner Entschuldigung vorgebracht, dass er gleich drei Stangen West mit sich rumgeschleppt hatte.
Dann hatte der Tomboy dem Hartinger berichtet, dass am Abend wieder einmal gezeltelt würde, und gefragt, ob Hartinger nicht mitkommen wolle. Denn alle kämen: der Markus, der Toni (damit war nicht der Bagger-Toni gemeint), der andere Toni (auch nicht der Bagger-Toni), der Niva, der Flo, der Schwarzi, der Heimi, der Helmi, wahrscheinlich auch der Humpi sowie – selbstredend – der Gringo. Vielleicht würde es auch der Schnatzi mal wieder schaffen, wenn er rechtzeitig aus Huglfing vom Handballturnier seiner Zwillingstöchter zurückkehrte, ansonsten käme er halt nach, habe er versprochen. Wenn ihn die Babsi nach Sonnenuntergang noch rausließe, hatte der Tomboy feixend hinzugefügt.
Wer da noch fehle, sei halt der Gonzo, dann hätten sie die alte Corona wieder beieinander. Ja, der Tomboy sagte tatsächlich »Corona«. Hartinger stand nach den Erlebnissen der letzten Wochen der Sinn absolut nach einem kleinen Rausch, und so sagte er zu, obwohl er nicht wusste, wie seine Uraltfreunde auf seine Anwesenheit reagieren würden. Würden sie ihn als Nestbeschmutzer ansehen, wie das sicherlich viele der Garmisch-Partenkirchner Mitbürger taten?
Nach dem Kuchen bei Kathi machte sich Hartinger auf den Weg an die Loisach. Er warf seinen Schlaf- und seinen Rucksack ins Auto und rollte die steile Forststraße von Graseck hinunter in die Wildenau. Am Getränkemarkt an der Mittenwalder Straße machte er kurz halt und wuchtete zwei Kästen Augustiner-Edelstoff in den Kofferraum. Kohlenhydratarme Ernährung und wenig Alkohol hin oder her, beim Zelteln ohne Bier aufzutauchen hätte ihn gleich in den ersten Minuten bei seinen Freunden disqualifiziert. Gottlob war Garmisch-Partenkirchen mittlerweile mit Discountmärkten gepflastert. Er steuerte den nächsten an, um sich das klassische Outdoor-Gericht für schmale Geldbeutel, den Bohneneintopf »Feuerzauber Texas«, zu holen. Davon packte er zwei Dosen in eine Tüte und nahm noch ein Netz Billigsemmeln mit. Damit würde er über die Nacht kommen.
Er verließ Garmisch-Partenkirchen auf der Zugspitzstraße und parkte auf dem Kanu-Parkplatz an der Loisach, wo er Schlafsack und Verpflegung in den Rucksack schmiss und sich einen Kasten Bier auf die Schulter hievte. Der zweite blieb als Reserve im Auto.
Bereits nach wenigen Metern beschlich ihn der Verdacht, dass das Bier früher leichter gewesen sein musste. Er setzte den Kasten ab und hob ihn auf die andere Schulter. So würde er drei Stunden für die paar hundert Meter brauchen. Er überlegte, ob er nicht warten sollte, bis einer der Spezl des Weges käme und ihm beim Tragen helfen würde, aber das war dann doch unter seiner Würde.
Er stolperte einige Meter weiter durch den Wald, da dudelte zu allem Überfluss sein Handy los. Wenigstens gab ihm das Gelegenheit, das blaue Tragl wieder abzustellen. Er langte in die Hosentasche und sah auf dem Display, dass ihn Dorothee Allgäuer anrief.
»Schöne Frau!«
»Schöner Mann! Großartig ist es bei euch hier heraußen, muss ich sagen. Ich bin den ganzen Nachmittag gewandert und gehe jetzt zum Essen. Hast du eine Empfehlung für mich?«
»Wie? Du bist schon da? Ich dachte, morgen triffst du dich mit deinem Chef zum Wandern?«
»Tue ich ja. Aber was soll ich allein in der Stadt. Also hab ich mir gedacht, fahr ich schon mal raus. Ich bin dann ja auch näher bei dir, mein Liebster.«
Mein Liebster … Hartinger wusste nicht, ob er so genannt werden wollte. Es war ihm zudem überhaupt nicht recht, dass Dotti in seiner Gemeinde weilte.
Was sollte er tun? Er musste sie ja praktisch einladen, mit ihm zu kommen. Zelteln an der Loisach war aber nichts für eine Dame aus der Stadt. Dann also musste er sie zum Essen begleiten, doch das hieße, seinen Kumpels einen Korb zu geben. Nicht dass die deswegen in Depressionen gefallen wären. Jedenfalls nicht in solche, die nicht mit zwei bis drei Halben kurierbar gewesen wären. Aber er wollte eigentlich dort drüben auf der anderen Seite des Flusses feiern. »Du, es tut mir echt leid, aber heute Abend … ich hab schon was vor …«
»Schon in Ordnung. Ich will ja nur wissen, wo man etwas Ordentliches zu beißen bekommt.«
»Bayerisch, Italienisch, Chinesisch
Weitere Kostenlose Bücher