Herrgottschrofen
Hartinger nahm seinen Löffel aus dem Rucksack, nahm einen Mundvoll des Eintopfes und musste sich sofort ins Lagerfeuer übergeben.
Danach ging es ihm bedeutend besser. Nur musste er nun auch ein größeres Geschäft absolvieren. Und das wollte er nicht im Wald erledigen.
Vom Zelteln hatte er für dieses Jahrzehnt schon wieder genug. Also packte er seinen Schlafsack und seine Isomatte, ließ sein Leergut liegen und schaute zu, dass er zum Auto kam.
Er ging den Loisachuferweg in Richtung Herrgottschrofen und wollte gerade über die Fußgängerbrücke zum Kanuten-Parkplatz schlurfen, als er im Fluss einen Menschen erblickte. Da hatte wohl einer der Irren den ganz Harten heraushängen lassen wollen und war aufgestanden und in die eiskalte Loisach gesprungen. Immerhin einhundert Meter hatte sich dieser Todesmutige mit dem Gebirgswasser mitspülen lassen, bevor er nun auf der kleinen Sandbank vor der Brücke aufstand und aus dem Flussbett stapfte.
Der Mann war nackt. Und wahnsinnig trainiert. Wirklich ein harter Hund.
Hartinger erkannte Klaus Suldinger, Tomboys Bruder.
Der frühmorgendliche Nacktschwimmer sah Hartinger nicht, der über ihm auf der Brücke stand. Er ging nach oben zum Uferweg und wieder zum Zeltplatz zurück.
Als er sich umdrehte, sah Hartinger den tätowierten Rücken. Über dem Gesäß stand »Come in and die!« in Frakturschrift, und zwischen den Schulterblättern prangte ein umgedrehtes Kreuz, das auf der Spitze eines Felsens stand.
»Hätte ein Spiel.«
»Weiter.«
»Weiter.«
»Spielens zu, Hochwürden!«
»Wie daheim.«
»Auf die Alte spielt er, der Herr Pfarrer, soso. Wenn das kein Neireißerspiel wird, ich weiß ja net …«
»Hör ich da eine Spritze, Herr Gruber?«
»Schau ma mal. Wer kommt raus?«
»Immer der, wo fragt.«
Veit Gruber sah noch einmal beschwörend in seine Karten. Dann knallte er den Eichelzehner auf den Tisch und plärrte: »Gsuacht und gfickt …«
»Nonono, Veit, es sitzt der Herr Pfarrer mit am Tisch.« Bürgermeister Hans Wilhelm Meier war es sowieso schon unangenehm, dass er sich nach der Heiligen Messe zu einer Runde Schafkopf im Bräustüberl hatte hinreißen lassen müssen. Er tat das ohnehin nur aus Imagegründen. Lieber wäre er mit seiner Frau nach Oberau auf den Golfplatz gefahren. Aber ein oder zwei Mal im Jahr sollten seine Garmisch-Partenkirchner sehen, wie erdverbunden ihr Ortsvorsteher war. Aber zu derb sollte es bitte nicht zugehen. Wenn sich die Schafkopffreunde schon einen Spaß daraus gemacht hatten, dem nigerianischen Pfarrer das Schafkopfspiel mitsamt seiner derbsten Wirtshausansagen beizubringen, musste das nicht auch noch zelebriert werden, wenn der Bürgermeister mit am Tisch saß und zwanzig Augen- und Ohrenpaare von den Nebentischen genau registrierten, was sich dort tat.
Das Spiel nahm seinen Verlauf, der Bürgermeister war eichelfrei und stampfte die Alte Sau vom Bagger-Toni und den Eichelzehner vom Gruber sowie einen Achter von Pfarrer Chukwuma Ogolama mit dem Herzzehner zusammen.
»Schneider frei!«, freute sich der Gruber. »Wir zwei miteinander – ha, Bürgermeister, so ein Dreamteam …«
»Wo wir uns beide so um unseren Ort verdient machen, Veit, gell?« Meier sammelte den Stich ein. »So nachhaltig vor allem, oder, was meinst du?«
»Freilich nachhaltig, wie alles, was wir machen«, schleimte Veit Gruber weiter.
Der Bürgermeister beachtete ihn nicht mehr, sondern fixierte die nächsten zwei Stiche lang den Brechtl mit seinem Blick. Er spielte weiter Trumpf.
Der Pfarrer stach mit dem alten Ober. Dann spielte er einen vollkommen unentschlossenen Graskönig an, Gruber setzte einen Unter, und der Bagger-Toni hatte die Sau blank stehen und musste, wie der Bürgermeister auch, zugeben.
»Böses Foul, Herr Pfarrer. So was spielt man nicht raus, aber das lernens schon noch«, sagte der Bürgermeister. »Und der Herr Brechtl hat eine blanke Sau, soso. Das hört man öfters von ihm, dass er sich mit so was gut auskennt …«
Der Bagger-Toni tat so, als hätte er die Bemerkung nicht gehört. In seinem Kopf ratterte es allerdings gewaltig, die Panik wollte in ihm aufsteigen bei der Vorstellung, was der Bürgermeister schon wieder in Erfahrung gebracht haben könnte.
Der Gruber kam mit dem Grasober raus.
»Was spielst denn du da für einen Schmarrn zamm, Veit? Aber gut, ein hübsches Blau ist immer eine schöne Farbe. Besonders im Auto, gell, Toni? So schön blau nachts um halb vier nach dem John’s Club?« Bürgermeister
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