Herrgottschrofen
Hartinger konnte gar nicht glauben, dass der Mann, den er für mindestens so wahrheitsliebend hielt wie sich selbst, gleich zwei mutmaßliche Mörder davonkommen ließ.
Über den Stand der Recherchen hatte ihn Albert Frey bereits am Vormittag telefonisch informiert.
»Mal sehen. Ich habe ja alle Dokumente und Akten. Jetzt lassen wir die Saunders erst einmal nach Amerika zurück, und dann überlegen wir uns das noch. Die laufen ja nicht weg, die zwei.«
»Wahrscheinlich nicht«, stimmte Kathi zu.
»Aber nur wahrscheinlich«, mahnte Hartinger. »Wenn einer von denen ebenso reiselustig ist wie die Saunders, wird er sich absetzen.«
»Aber ist schon alles ein wenig dünn, was wir in der Hand haben, Karl-Heinz«, sagte Albert Frey. »Und es ist alles so lange her. Keine weiteren Zeugen. Eine US-Militärakte, die gar nicht in unserem Besitz sein dürfte. Ein unvollständiges Skelett.«
»Trotzdem«, beharrte Hartinger. »Da muss doch ein Zusammenhang herzustellen sein, wenn man da reinbohrt. Auch was den Fundort anbelangt, den Herrgottschrofen. Die Svetlana fällt da runter. Nackt. Auf dem Kopf stehend gekreuzigt. Haben Sie darüber eigentlich etwas herausgefunden, Herr Frey?«
»Über was?«
Hartinger schaute zu Kathi auf, die gerade den Kuchen auf den Tisch stellte.
»O Gott, Karl-Heinz, das hab ich ganz vergessen«, rief sie aus.
»Was hast du vergessen?« Albert Frey wurde ungeduldig.
»Das mit dem Kreuz und dem Felsen«, sagte Kathi. »Ach, erzähl’s doch gleich selber, Karl-Heinz.«
»Im Knast gibt es ein paar ganz harte Burschen. Aber nicht hart im üblichen Sinn«, erklärte Hartinger. »Keine Räuber und Betrüger, sondern eher Rächer von Moral und Anstand. Nennen sich Gottes Neffen. Muss eine internationale Geheimloge sein oder so etwas. Und die haben als Wahrzeichen das Petruskreuz, das auf einem Felsen steht.«
»Noch nie gehört«, gab Albert Frey zu.
»Das Bild hat mich doch sehr an das erinnert, das ich damals gesehen habe, als die Svetlana mit ausgebreiteten Armen auf dem Herrgottschrofen stand und dann nach unten kippte, kopfüber. Und da dachte ich an einen möglichen Zusammenhang.«
»Du meinst, dass der Mord an Franziska Stiller kein Lustmord war«, sagte Albert Frey erstaunt, »sondern … ein Ritualmord?«
»Möglich, oder? Die war ja kein Kind von Traurigkeit, wenn man die Zeichen richtig deutet. Erinnern Sie sich an das Tagebuch der Josepha Stiller. Und wenn es da auch so oberste Tugendwächter gab, dann ist die mit denen vielleicht aneinandergeraten.«
»Und die Svetlana Ryschankawa war offenbar auch … na ja, sagen wir, vielfältig sexuell interessiert«, ergänzte Albert Frey.
»A rechte Saumatz war’s!«, übersetzte Kathi ins Oberbayerische.
»Schon gut, Kathi«, sagte Albert Frey. »Ist kein Grund, sie zu foltern und umzubringen.«
»Für die Neffen Gottes vielleicht schon«, meinte Hartinger.
»Dann müssen wir jetzt etwas über die Neffen Gottes herausfinden«, entschied Frey. »Am Montag kann ich in die Staatsbibliothek, Karl-Heinz, früher geht’s nicht. Wenn im Internet nichts zu finden ist …«
»Hab ich schon versucht, da steht so gut wie gar nichts. Nicht einmal, dass es die überhaupt gibt. Nur die Verwendungen des Petruskreuzes sind in allen Schattierungen beschrieben. Die reichen von sehr christlich bis satanistisch. Damit kommt man nicht weiter.«
»Meine Herrschaften, danke für den wunderbaren Kuchen, ich muss in meine Denkerkammer«, verabschiedete sich Albert Frey.
»Ja, und ich muss heute Abend noch einmal runter in den Ort«, sagte Hartinger. »Ich bin von ein paar alten Spezln auf eine Party eingeladen. Wir feiern fünfundzwanzig Jahre von irgendwas, ich hab’s vergessen.«
»Aber morgen wird geschliffen, Karl-Heinz, ganz egal, was für einen Kater du hast!«, keifte Kathi hinterher, als die Männer aus der Küche verschwanden.
»Ich trink doch nichts mehr«, rief er zurück – und murmelte dann: »Oder fast nichts …«
Albert Frey machte sich nur noch ein kleines Abendessen. Nach der Sachertorte bei Martin Bruckmayer und dem Apfelkuchen bei seiner Nichte Kathi reichte ein Schinkenbrot mit einem klein geschnittenen Cornichon als Garnitur.
Damit setzte er sich an seinen Laptop, um etwas über die geheimnisvolle Sekte der Neffen Gottes in Erfahrung zu bringen. Doch es war so, wie Hartinger es ihm bereits angekündigt hatte: Gerade mal in drei obskuren Internetforen fanden die Neffen Erwähnung, sonst war nichts zu finden. Zumindest
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