Herrgottschrofen
die Stadt oder ein fremdes Schlafzimmer unsicher zu machen.
Endlich trat eine elegante junge Frau durch die Tür, ging direkt auf den Restaurantchef zu und erkundigte sich wohl nach einer auf den Namen »Hartinger« lautenden Reservierung. Denn der Mann zeigte auf ihn und ging dann der Dame voraus auf Hartingers Tisch zu. Er half ihr aus dem halblangen grauen Mantel und wartete hinter dem Stuhl für den neuen Gast.
Hartinger war aufgesprungen und stand etwas unbeholfen herum, bis die junge Dame Schal und Lederhandschuhe abgegeben hatte, dann erst stellte er sich vor. »Hartinger. Karl-Heinz Hartinger.«
Ein Lächeln huschte über das Gesicht der jungen Frau. Sie war eine echte Schönheit, wie Hartinger bemerkte.
»Allgäuer. Dorothee Allgäuer.« Das Lächeln verwandelte sich in ein sympathisches Lachen. »Mit James und Bond klingt das besser, muss ich zugeben.«
»Na, was soll man machen?«, beruhigte sie Hartinger. »Ich danke meinen Eltern bis heute täglich für meinen weltmännischen Vornamen.«
Sie setzten sich, wobei der Restaurantchef der Frau Doktor den Stuhl zurechtschob und dann verschwand, um die Garderobe aufzuhängen und mit den Speisekarten zurückzukehren.
»Aber Sie haben doch sicher einen coolen Spitznamen – Charly oder so. Ich heiße in meiner Familie Dotti. Und bei meinen Freunden. Wobei mich manche von ihnen auch Dotto nennen. Als Abkürzung von Dottore. Ich habe nämlich in Italien studiert.«
Die Frau Doktor ging ja ran. Schüchtern war sie jedenfalls nicht, dachte Hartinger. »Sie wissen es ja sicher bereits über unseren gemeinsamen älteren Bekannten: Man nennt mich Gonzo.«
»Wie der von der Muppet Show?«
»Richtig erkannt. Wegen der Hakennase.«
»Dieser Zusammenhang wäre mir jetzt gar nicht aufgefallen«, schwindelte Dorothee Allgäuer.
»Nett von Ihnen.« Hartinger fand Gefallen an der über zehn Jahre jüngeren Frau. Mit den hohen Absätzen war sie ihm über einen Meter achtzig erschienen, als sie ihm während der Begrüßung gegenübergestanden hatte. Das lange kastanienbraune Haar trug sie offen, Locken fielen ihr sanft über die Schultern. Das ausgesprochen hübsche Gesicht mit den dunkelsten Augen, die Hartinger je gesehen hatte, war perfekt geschminkt. Der knallrote Lippenstift, den nur Frauen mit makellosen Zähnen tragen konnten, bildete einen optisch aufreizenden Kontrast zu der harten schwarzen Brillenfassung.
Die Blicke der männlichen Besucher des Lokals waren offen oder verstohlen auf Dr. Dorothee Allgäuer gerichtet. Viele von ihnen mochten sich fragen, was die gepflegte Frau im grauen Flanellrock und dem schwarzen Rollkragenpullover mit dem in Jeans und einfachem Hemd ihr gegenübersitzenden angegrauten unrasierten Mann zu schaffen hatte.
Der Restaurantchef marschierte mit einem neuen Brotkorb zum Tisch des ungleichen Paars und brachte die Speisekarten. Dazu repetierte er aus dem Gedächtnis die Tagesempfehlungen, die hinter ihm auf der Schiefertafel standen.
Hartinger wusste, dass dieser Abend ein tiefes Loch in sein Budget reißen würde, war aber nicht der Mann, der einer Dame gegenüber knauserte. Er sah, dass seine Verabredung zögerte, in die Vollen zu gehen, und sagte zu ihr: »Also, ich nehme den Lupo di Mare und vornweg ein Vitello Tonnato. Und Sie? Auch so einen Mordshunger?«
»Bei einem Mann wie Ihnen muss man ja Mordshunger bekommen.« Sie blickte kurz über Brillenrand und Karte direkt in Hartingers Augen.
Der ließ die Zweideutigkeit unkommentiert und blätterte in der Weinkarte. In der Tat gar nicht schüchtern, die Lady. Und nach Formaldehyd roch es in ihrer Umgebung auch nicht. Er würde Kurt Weißhaupt wohl oder übel ein paar Pils im Schumann’s ausgeben müssen für diese Kontaktanbahnung.
»Also, ich nehme marinierte Sardellen mit Polenta als Vorspeise«, sagte sie, »dann einen Teller Spaghetti Napoli – und bitte keine Kinderportion – und als Hauptgericht ein ordentliches Stück von der Fiorentina. Aber schön blutig. Und mit Kartoffeln.«
Als würde diese Menüfolge nicht für den Kalorienbedarf eines Piemonteser Bergbauern während der Weinlese reichen, fragte der Restaurantchef: »Kleiner Salat dazu?«
»Den Salat bringen Sie mal bitte dem Herrn, damit er was zu knabbern hat, während ich meine Pasta esse.«
Nach dieser Bestellung waren die Fronten geklärt. Hartinger hatte ein Frauengedeck und Dr. Allgäuer die Männerportion in Auftrag gegeben. Allmählich schwante Hartinger, dass Formaldehydgeruch nicht der
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