Herrgottschrofen
Steinerweichen kitschige Instrumentalversion von Lucio Dallas »Caruso«. Drei Köche kamen aus der Küche gestürzt, um zu sehen, wer da in ihrem Lokal abgestochen wurde. Als der Schmerz nachließ, stöhnte Hartinger ermattet und verdrehte die Augen zur Decke.
Dr. Dorothee Allgäuer tauchte wieder unter dem Tisch hervor, nahm wieder Platz, leckte sich die Lippen und wischte sich mit der Serviette aufwändigst den Mund ab. Dann klickte sie die Handtasche auf und zog sich mit dem Chanel-Stift die Lippen nach.
Die Blicke der männlichen Gäste im gesamten Lokal pendelten ungläubig zwischen ihr und Hartinger hin und her. Einige der weiblichen Besucher traten gegen die Schienbeine ihrer Begleiter, um deren Aufmerksamkeit zurückzugewinnen.
»Hübscher Practical Joke«, sagte Hartinger, nachdem er wieder in den Socken und seinen Schuh geschlüpft war.
»Lustig, oder? Schade, ich hab die Gesichter ja nicht gesehen.«
»Irre komisch. An welcher Uni haben Sie gleich noch mal Ihren Abschluss gemacht? Silvio-Berlusconi-Akademie für Bunga Bunga?«
»Sie sind aber auch nicht auf den Mund gefallen, Gonzo.«
»Das glaubt von Ihnen auch keiner mehr in diesem Laden, Dotti.«
Sie prusteten und prosteten. Dann wurde die Frau Dottore ernst. »Sie müssen sich die Galle anschauen lassen.«
»Wie kommen Sie denn darauf?«
»Ich hab Ihnen gerade da unten nicht nur gezeigt, wo phalanges proximales Nummer fünf an Ihrem rechten Fuß sitzt, sondern auch, dass Sie ein Problem mit der Galle haben. Dieser Knochen ist die Reflexzone für die Galle. Wenn man da drückt, und es schmerzt, dann ist was mit der Galle los.«
»Aber daran ist der Soldat aus Garmisch nicht gestorben?«
»Soldat? Was für ein Quatsch! Wir haben es mit – sagen wir – über fünfzig Prozent Wahrscheinlichkeit mit einer jungen Frau zu tun.«
»Und wieso hat diese junge Frau die seltenen Überbeine an den Phalanges proximales fünf ,Dotti?«
»Sehen Sie, das ist genau das, was ich nicht in den Bericht hineingeschrieben habe. Weil ich es absolut nicht verstehe. So was haben alte Menschen, die ihr Leben lang zu enge Schuhe getragen haben.«
»Ich werde es herausfinden«, gab Hartinger zu Protokoll.
»Und ich finde heraus, ob wir es mit einem jungen Mann oder einer jungen Frau zu tun haben. Spätestens am Mittwoch haben wir die DNA-Untersuchung. Die hat in diesem Fall keinen Vorrang und dauert deshalb so lange.«
»Und bis dahin?«
»Essen wir Fisch und Fleisch, und Sie fragen mich zum Dessert das mit den Bienen und den Blumen noch mal. Das mit den Störchen kann ja noch warten.«
Hartinger erreichte bereits eine halbe Stunde vor dem verabredeten Zeitpunkt den Parkplatz neben der Bundesstraße. Dort befand sich aus den Zeiten der Kanu-WM auch das Zielhaus der Rennstrecke auf der Loisach. Er parkte den Volvo neben dem Blockhaus und hob die schwere Kameratasche aus dem Kofferraum. So gut wie seine gesamte Ausrüstung hatte er eingepackt und alle Akkus der Blitzgeräte aufgeladen. Er wollte Svetlana eine perfekte Show bieten.
Er war sicher, dass sie ihrerseits ihr Bestes geben würde. Auch wenn er diesen ganzen Schmarrn nur machte, um näher an sie und über sie an den Bagger-Toni heranzukommen, spürte er doch ein gewisses Kribbeln im Bauch. Aktaufnahmen hatte er seit gefühlten fünfzehn Jahren nicht mehr gemacht, und auch damals meist nur zum Schein, um die Mädels der großen Stadt möglichst unkompliziert aus den Kleidern zu bekommen. Irgendwann genügten dann dazu sein Ruf und sein verwegenes Aussehen.
Doch aufgrund der Outdoor-Situation der Fotosession war Hartinger nervös. Es war eine ziemlich dumme Idee von ihm gewesen, sich ausgerechnet hier zu verabreden, wo des Bagger-Tonis Truppen sozusagen gleich um die Ecke die Erde planierten. Auch brodelte eine gewisse Vorfreude in ihm. Svetlana ohne die Resttextilien zu begutachten, die sie üblicherweise trug, war ein Privileg, das nicht jedem zuteil wurde. Einigen sicher, vielen vielleicht sogar, aber nicht allen.
Zum Glück hatte das mit Dotti in ihrer Dachgeschosswohnung in der Maxvorstadt verbrachte Wochenende den Hormonstausee in ihm trockengelegt, den die frauenlosen Monate zuvor hatten anschwellen lassen. Sonst hätte er sich vielleicht während der gleich anstehenden Probeaufnahmen nicht auf Blende und Verschlusszeit konzentrieren können.
Er sperrte den Wagen ab und schleppte die Ausrüstung mitsamt einer Reihe von Stativen durch den Wald zur Holzbrücke, die man nur zu Fuß überqueren
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