Herrgottschrofen
würde es auch nichts mehr werden an diesem Abend. Wenn der spät berufene BILD-Lesertraum in spe nicht um spätestens achtzehn Uhr halb nackt und in Positur geworfen vor seiner Linse stand, konnte er das wunderschöne Felsambiente vergessen. Nichts davon würde man auf den Fotos sehen können.
War ja grundsätzlich wurscht, denn Hartinger dachte nicht daran, als Helmut Newton II. Karriere zu machen, auch wenn Svetlana perfekt als Big Nude durchgehen würde. Er wollte aber dennoch nicht, dass Lex Peininger in Berlin die Fotos gleich in den Papierkorb warf. Der Schnelle Lex, wie er in Kollegenkreisen genannt wurde, schuldete ihm zwar bis an sein Lebensende jede Menge Gefallen, doch Hartinger wollte sich nicht mit den Bildern blamieren.
Na ja, vielleicht steckte doch ein Newton in ihm. Höhere Gagen als zwanzig Euro pro abgedrucktem Foto hatte der jedenfalls verdient. Und in den schönsten Hotels auf der Welt die schönsten Frauen porträtiert … Moment, Gonzo Hartinger, warum eigentlich nicht?
So verträumte Hartinger die Zeit. Es wurde halb sechs. Immer noch keine Svetlana. Allmählich wurde es frisch hier am Fluss. Hartinger stand auf und vertrat sich die Beine. Er ging vor seinem Set auf und ab und kontrollierte noch einmal die Blitzgeräte, kramte in seiner Fototasche und putzte noch einmal die Objektive. Zwanzig vor sechs. Eine Frau mit einem schwarzen Hund ging vorbei. Der Hund kläffte aufgeregt zu ihm herüber, doch die Frau konnte ihr Biest an der Leine weiterziehen.
Keine Svetlana in Sicht.
Er wählte noch einmal ihre beiden Nummern. Nichts. Nun gut, wenn sie bis sechs nicht auftauchte, würde er seine Sachen packen, nach Partenkirchen fahren und in ihrer Wohnung sowie in der Eisstockhütte nach ihr sehen. Mehr konnte er nicht tun. Außer sauer sein. Und ein wenig enttäuscht.
Machte sie sich über ihn lustig? Versteckte sie sich irgendwo im Wald, beobachtete ihn und lachte sich schlapp? Na ja, so ein lustiges Bild gab er auch nicht ab, dachte er.
Er zog einen größeren Kreis um seine Aufbauten und wanderte auf der Wiese vor dem Herrgottschrofen umher. Er ging zur Brücke und lehnte sich ans Geländer. Von dort schaute er hinüber zu seiner Bank mit der Fototasche und den ringsum aufgestellten Blitzstativen. Zu schön wäre die Szene gewesen. Die Sonne warf ihre letzten Strahlen auf den Schrofen. Genau in diesem Moment wären wunderbare Bilder entstanden, wenn ihn diese dämliche Kuh nicht versetzt hätte. Ärgerlich, aber nicht zu ändern. Er würde sein Glück bei anderen Nachwuchsmodellen versuchen. Er war auch ohne Svetlana auf den Geschmack gekommen. Ja, er würde es versuchen. Aktfotograf. Warum war er da nicht früher draufgekommen?
Er blickte den Herrgottschrofen hinauf. Die Sonne tauchte die Kiefern, die sich mit bewundernswerter Hartnäckigkeit auf der Spitze des Felsens festkrallten, in ein warmes Licht.
Dann sah er es. Er sah sie . Svetlana. Sie stand nackt oben auf dem Fels. Mit ausgebreiteten Armen. Sie bewegte sich nicht. Hatte sie die Augen geschlossen? Hartinger konnte es auf die Entfernung nicht erkennen. Er rief sie an. Mit aller Kraft schrie er ihren Namen.
Doch die nackte Frau bewegte sich keinen Millimeter. Nur der Wind spielte mit ihrem langen blonden Haar.
Er musste dort rauf. Sofort. Doch Hartinger wusste nicht mehr genau, wie man den gut zwanzig Meter hohen Schrofen ohne große Kletterei begehen konnte. Da der Felsblock, den der abziehende Zugspitzgletscher vor langer, langer Zeit hier zurückgelassen hatte, mit dem dahinterliegenden Hügel verwachsen war, ging es hintenherum irgendwo ziemlich unanstrengend hinauf. Nur die Vorderseite war senkrecht abfallender Fels.
Er versuchte es links herum. Hartinger vergaß seine Kameraausrüstung, rannte an Tasche und Stativen vorbei den schmalen Spazierweg hinauf, der in Richtung Kramerplateauweg führte, und schlug sich dreißig Meter hinter seinem Freiluft-Fotostudio rechts in die Büsche. Dort ging es irgendwo durch die Bäume auf den Schrofen hinauf, wenn er sich richtig erinnerte. Er hatte mit dreizehn, vierzehn an diesem Fels seine Kletterversuche unternommen und war bald daraufgekommen, dass kleinere und leichtere Buben besser zum Bouldern geeignet waren. Aber er wusste noch, dass man irgendwo an dieser Stelle nach oben gelangen konnte, um dort das Seil anzubringen, bevor man sich an der geraden Wand vorn probierte.
Er stolperte und fiel zwischen zwei Bäume, deren Äste ihm das Gesicht verkratzten. Er kümmerte sich
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