Herrgottschrofen
konnte. Auf der anderen Seite des Flusses befand sich der Herrgottschrofen, in der Tat eine herrliche Fotokulisse. Allerdings war das Gelände hier wirklich übersichtlich. Jeder Spaziergänger und Radlfahrer auf dem Loisachuferweg würde ihr Treiben beobachten können. Und Spaziergänger und Radlfahrer gab es an diesem herrlichen Fleck zu jeder Zeit. Auch an einem Montagabend.
Recht so, dachte Hartinger, ein weiterer Grund, nicht mit Svetlana zur Sache zu kommen.
Hartinger stellte die Tasche auf dem Bankerl ab, das vor dem Schrofen zum Verweilen lud. Er legte die Stative in die Wiese und suchte dann die besten Standplätze für den Fotografen und sein Model. Als er die Motive im Kopf gespeichert hatte, nahm er die Stative und stellte sie im Halbkreis um den Fuß des Felsens. Er schraubte die Blitzgeräte darauf und testete die Infrarot-Auslöser. So würden alle Kunstlichter im selben Moment aufleuchten, in dem er den Auslöser an seiner Kamera drückte. Er war sehr froh um diese Anschaffung, ersparte sie ihm doch die Verlegung von Kabeln.
Nun musste nur noch sein Mannequin auftauchen. Die Uhr ging auf fünf. Hartinger glaubte nicht, dass sich Svetlana groß verspäten würde. Sie war scharf wie ein japanisches Samuraischwert auf ihre zweite – oder dritte? – Karriere, nämlich die als BILD-Mädchen. Deshalb unterdrückte er den Drang, drüben an der Tunnelbaustelle schnell nach dem Stand der Arbeiten zu sehen. Sicher hatten sie da mittlerweile eine repräsentative Kieswüste für die hohen Gäste am Mittwoch hinplaniert.
Hartinger grinste in sich hinein und freute sich. Wenn Dotti am Mittwochvormittag die DNA-Ergebnisse bekäme und die Knochen tatsächlich von einer Frau stammten, wovon er mittlerweile ausging, dann platzte die Tunnelparty mit dem Ersten Bürgermeister Meier und seinem Parteiboss in letzter Minute. Da würde er sehr gern Mäuschen spielen, wenn die beiden anschließend miteinander sprachen.
Hartinger hatte an diesem Montag keine Zeit gehabt, sich um die Anomalien zu kümmern, die bei der Untersuchung der Knochen entdeckt worden waren. Zu viele Termine. Nachdem er am Samstagmorgen alle Wochenendaufträge an den Kollegen Meerbusch abgetreten hatte, hatte er ihm im Gegenzug versprechen müssen, am Montag, Dienstag und Mittwoch alle Fototermine des Tagblatts zu erledigen. Er wusste zwar immer noch nicht, wie er das anstellen sollte, insbesondere wenn er am Mittwoch den ganzen Vormittag auf der Tunnelbaustelle verbringen wollte, aber irgendwie würde er es schon hinbekommen. Spätestens am Dienstag früh musste er einen Orthopäden aufsuchen, um mit ihm über die Überbeine der Toten zu sprechen. Zum Glück hatte vor Kurzem in dem Ärztehaus, in dem seine Psychotherapeutin Dr. Frankenthaler ihre Praxis unterhielt, ein junger Sportmediziner aufgemacht.
Er zog sein Handy aus der Hosentasche und rief die Praxis seiner Therapeutin an. Er verschob den Termin am Mittwoch und ließ sich anschließend die Nummer und den Namen des Kollegen einen Stock unterhalb geben. Die Sprechstundenhilfe von Dr. Frankenthaler ermahnte ihn nicht zum ersten Mal, dass er seine Termine nicht verschieben könne, wie es ihm passe, die Frau Doktor würde das schließlich auch nicht tun, und außerdem gefährde eine unregelmäßige Behandlung den Erfolg seiner Therapie. Und dann erklärte sie, dass ausgerechnet ihre Schwester die Sprechstundenhilfe von Dr. Neumann sei, und wollte wissen, wo es denn wehtue.
Hartinger log schreckliche Ischias-Schmerzen zusammen, und Dr. Frankenthalers Sprechstundenhilfe versprach, bei Dr. Neumanns Sprechstundenhilfe – also bei ihrer Schwester – einen Termin für Hartinger morgen ganz früh auszumachen. Er legte auf, und zwei Minuten später klingelte sein Handy. Ja, Dr. Neumann würde ihn sich gern anschauen, morgen früh um sieben, und zwar bitte pünktlich, der Herr Doktor lasse extra für ihn seine Joggingrunde ausfallen.
Hartinger bedankte sich artig.
Mittlerweile war es zehn nach fünf. Noch immer war weit und breit keine Svetlana zu sehen. Er klickte auf dem Handy ihre Mobilnummer an. Keine Mailbox. Hartinger ließ es klingeln, bis der Automat des Providers bestätigte, dass der Anrufer nicht antwortete und das Gespräch nicht entgegennahm. Daraufhin ließ er es noch einmal durchklingeln. Nichts.
Er probierte die Nummer der Eisstockhütte. Wieder nichts.
Allmählich wurde Hartinger ungeduldig. Er hasste nichts mehr, als auf andere Leute warten zu müssen. Und mit dem Licht
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