Herrgottschrofen
zu prüfen. Eine Absage des Tunnelanstichs hätte den Baron in Alarmbereitschaft versetzt.
So rollte Bayerns Landesvater im gepanzerten BMW die A95 entlang, vor und hinter ihm die blaulichtbewehrten Limousinen seiner Leibwächter. Sie schnitten durch den Nebel, der sich am Autobahnende plötzlich auflöste und den Blick auf das großartige Panorama des Wettersteingebirges freigab. Über den schneebedeckten Spitzen prangte ein blitzblauer Frühjahrshimmel.
Dem Ministerpräsidenten ging das Herz auf. Seine Laune besserte sich. Ja, es war doch die richtige Entscheidung gewesen, hier wieder einmal Flagge zu zeigen. Es würden tolle Bilder werden, die an diesem Abend in der Rundschau und morgen in den Bayernteilen der Zeitungen zu sehen sein würden. Und die Rede, die Kleinschmied für ihn geschrieben hatte, war auch ganz in seinem Sinn.
Er las sie noch einmal durch, während seine Kolonne durch Oberau und den Farchanter Tunnel raste. Ja, es standen die richtigen Schlüsselwörter im Text. »Unser schönes Bayernland« zählte der Ministerpräsident fünfmal, Kombinationen aus »Tradition«, »Zukunftsfähigkeit« und »Nachhaltigkeit« dreimal und die Vokabel »Technologie« zweimal. »Europa der Nationen« hatte Kleinschmied auch noch untergebracht und sogar die Floskel »Völkerverständigung durch Straßenbau«. Schließlich hatte sein persönlicher Referent sogar noch formuliert: »Intakte Familien brauchen schnellen Verkehr!« Der Ministerpräsident lachte leise in sich hinein. Wie recht Kleinschmied damit hatte. Doch so konnte man das nicht stehen lassen. Er zog sein Montblanc-Meisterstück aus der Lodenjoppe und machte aus dem »Verkehr« »Verkehrsanbindungen«.
Da sie spät dran waren, war keine Zeit für einen Plausch mit Meier in dessen Rathaus. Der Ministerpräsident wies seinen Fahrer an, den Wagen auf dem schnellsten Weg direkt zur bevorstehenden Tunnelbaueröffnung zu lenken.
Auf einer Behelfsbrücke über die Loisach gelangten sie zur Baustelle. Dort bot sich ein dem Ministerpräsidenten von unzähligen ähnlichen Anlässen vertrautes Bild. Der Platz war aufgekiest und der Kies zu einer sauberen Fläche verdichtet, sodass die schweren Wagen direkt vor das hölzerne Podest hätten fahren können, auf dem Bürgermeister Meier, die dem Tunnelbau gewogenen Fraktionen des Garmisch-Partenkirchner Gemeinderats, der dem Ministerpräsidenten seit dem Wochenende gut bekannte Anton Brechtl und weitere Honoratioren standen. Trotz Lodenausstattung froren sie sichtlich.
Von der Plattform ging ein hölzerner Steg ab. Dort, wo er endete, steckten zwei Spaten in der Erde. Sie waren nagelneu, und in ihre Stiele hatte ein ortsansässiger Künstler Anlass und Datum mit dem Brennstift graviert.
Der Ministerpräsident ließ dreißig Meter vor der Plattform anhalten und stieg aus dem Fond des Siebeners. Das war das Zeichen für das Gebirgsmusikkorps der Bundeswehr, mit dem Bayerischen Defiliermarsch einzusetzen.
Der Ministerpräsident schritt zum Klang der heimlichen Nationalhymne die Parade aus Polizisten, Feuerwehrlern, Bauarbeitern und Presseleuten ab, die sich wie ein Garderegiment unterhalb des Promi-Podests aufgestellt hatten. Ein zufälliger Beobachter hätte sich gefragt, warum wohl mitten im Wald eine Laienschauspieltruppe eine Parade für den Geliebten Führer Kim Sung Il generalprobte.
Endlich erreichte der hohe Gast aus München das Podest und nahm die zwei Stufen mit einem einzigen gesprungenen Schritt, was nach Meinung seines Gebärdentrainers immer Dynamik und Entschlossenheit demonstrierte. Der Landesvater winkte in die Runde und in die Landschaft, als tummelte sich auf der anderen Seite der ehemaligen naturgeschützten Feuchtwiese so etwas wie ein Volk, das sich an diesem Tage scharenweise in die Breitenau aufgemacht hatte, um ihm zu huldigen. Doch dort standen anstelle von Rautenfahnen schwenkenden Schulkindern nur die frisch gekärcherten Bagger und Radlader des Anton Brechtl Spalier. Das ihnen auflackierte Konterfei ihres Besitzers und die Sprechblase mit dem Slogan »Ob kalt, ob heiß – ich kümmer mich um jeden Scheiß« grüßten zur Bühne herüber. Eigentlich sah die Szene danach aus, als huldige der Ministerpräsident dem überlebensgroßen Bagger-Toni als dem einzigen Mann, der sich wirklich um alles kümmerte.
Damit auch alle Waldtiere in einem Radius von zwei Kilometern von dem großen Glück erfuhren, dass der Bayerische Ministerpräsident himself an diesem Tag den baldigen Bau einer
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