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Herrgottschrofen

Herrgottschrofen

Titel: Herrgottschrofen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Ritter
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völkerverbindenden Fernstraße in ihrem Lebensraum feierte, hatte die Protokollabteilung des Straßenbauamts Weilheim, die für die technische Durchführung des Tunnelbaus und somit des Events verantwortlich zeichnete, überdimensionierte Lautsprecher rechts und links auf dem Holzpodest anbringen lassen. Über diese schallte die Begrüßungsrede von Bürgermeister Meier.
    Danach spielten die Gebirgsjäger den Loisachtal-Marsch, und anschließend war der Ministerpräsident an der Reihe. Er verlas die Rede von Dr. Kleinschmied und baute an passenden wie unpassenden Stellen Anspielungen auf die Länge der politischen und verwaltungstechnischen Wege in Bayern ein. Doch, so sein Fazit, nach vierzig Jahren der Planung zeige sich, dass in Bayern noch wegweisende Projekte gemeinsam mit Bürgern und Politik zum nachhaltigen Nutzen aller umgesetzt werden könnten.
    Endlich schritten der Landesvater und der Ortsvorsteher zum Spatenstich. Die Fotografen und Kameraleute hatten vorher ihre Positionen festgelegt. Die Alpspitze steil angeschnitten im Hintergrund und zwei tatkräftig die Spaten in die Erde stechende Politiker ergaben schöne Bilder.
    Als der Ministerpräsident sein Werk als erbracht erachtete, erhob sich aus der Gruppe der Journalisten eine Stimme:
    »Herr Ministerpräsident, was sagen Sie dazu, dass Sie gerade in das Grab eines Mordopfers gestochen haben?« Hartinger. Wer sonst.
    Der Angesprochene schaute verstört. Für Sekundenbruchteile entglitten ihm die Züge. Doch er fasste sich schnell wieder und gab die Frage an untere Ebenen ab. »Ich bin ganz sicher, dass der Herr Bürgermeister und der Chef der örtlichen Polizei Ihnen dazu bessere Auskünfte geben können. Aber – wenn Sie gestatten – ein toter Soldat ist kein Mordopfer, jedenfalls nicht zwingend, ich meine, jedenfalls dann nicht, wenn er in Ausübung seiner Pflichten fürs Vaterland auf dem Feld der Ehre den Heldentod … Ich meine, wenn er während der Schlacht fällt. Nicht nur fällt, sondern stirbt. Das tun Soldaten. Im Krieg jedenfalls. Und während der Schlacht sowieso. Nicht alle, aber viele. Und das ist dann nicht unbedingt Mord. Das darf ich auch in der Anwesenheit des Herrn Majors einmal klipp und klar sagen, jawoll?«
    Er wies mit einem Kopfnicken auf den Chef des Gebirgsmusikkorps, das den Rest der einstmals in Garmisch-Partenkirchen residierenden 1. Gebirgsdivision darstellte. Der Bundeswehr-Kapellmeister begriff sofort, drehte sich zu seinem Orchester um, hob schneidig den Taktstock, und es erklang, wie es das Programm vorsah, der Marsch »Die Welt ist so schön«.
    Hartinger aber ließ sich auch nicht von Marschmusik von seiner Wahrheitssuche abhalten. In den ohrenbetäubenden Lärm hinein – der Tontechniker hatte geistesgegenwärtig die Regler seines Mischpultes bis an den oberen Anschlag geschoben – setzte er seine Befragung fort.
    »Sind Sie sicher, dass es Soldatenknochen waren, die man hier gefunden hat? Und wenn, wäre das nicht Anlass genug, die Bauarbeiten zu verschieben, bis die Leiche vollständig geborgen ist?«
    Der Ministerpräsident blickte Hilfe suchend zu seiner Leibgarde und dem Fahrer. Nun rächte es sich, dass er weiter weg hatte parken lassen. Mittlerweile war er von Reportern und Kameraleuten umringt. Die dreißig Meter bis zu seinem Auto erschienen ihm so lang wie eine Reise zum Mond. Er musste sich den unbequemen Fragen stellen.
    »Sicherlich … Die Totenruhe ist ein nicht zu unterschätzendes Gut. Seien Sie versichert, dass gerade dies einem Ministerpräsidenten mit einem C im Parteinamen in ganz besonderer Weise bewusst und wichtig ist. Von daher wurden alle Vorkehrungen getroffen …«
    »Die Knochen gehören zu einer weiblichen Leiche. Waren im Zweiten Weltkrieg Frauen an der Front? Und verlief die Front in Garmisch-Partenkirchen? Gab es hier überhaupt getötete Soldaten?« Hartinger schickte dem Politiker eine wahre Salve von Fragen hinterher, als der in Richtung des rettenden Fahrzeugs flüchten wollte.
    »Wissen Sie, das tut doch hier nichts zur Sache. Wir möchten hier die nachhaltige Zukunft von Verkehrswegen sichern. Und schneller Verkehr gehört nun einmal zu einer intakten Familie, ich meine, Völkerfamilie, natürlich, hier im Herzen Europas, wo sich die Schnittstelle zwischen Nord und Süd, Ost und West befindet …«
    Der Ministerpräsident schritt eiligst davon, seine Leibwächter hielten die Pressemeute zurück. Hartinger, umringt von den Kollegen der anderen Tageszeitungen, der

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