Herrgottschrofen
prüfen. Wie Sie wissen, ist Bayern seit jeher in energietechnischen Fragen ganz vorn dabei. Energie ist ein zentrales Kompetenzthema von uns hier in Bayern. Sehen Sie sich das Walchensee-Kraftwerk und die Isar-Stauwehre an. Stromerzeugung auf nachhaltigste und umweltfreundlichste Art und Weise. Seit fast einhundert Jahren! Ja, umweltfreundliche Energie ist eine Kompetenz von uns. Wir brauchen gar keinen Wind. Wenn Sie mir das Wortspiel erlauben, das Erzeugen von bewegter Luft überlassen wir lieber der Opposition. Die können noch so dicke Backen machen, da regt sich doch bei uns nur ein laues Lüfterl, wenn man ganz ehrlich ist. Aber zurück zur naturgegebenen Energie-Kompetenz der Bayern und der CSU . Wir beteiligen uns nämlich auch an dem verantwortungsvollen Umgang mit den sogenannten Altlasten. Gerade dieses kerntechnische Erbe ist uns wichtig. Die CSU steht für Verantwortung. «
» Bedeutet dies, dass doch ein Endlager in Bayern … ? «
» Na, es gibt ja leider überhaupt keine geeigneten geologischen Formationen dafür in Bayern. Das haben wir auch immer gesagt. Da, wo unsere Kompetenz wieder ins Spiel kommt, setzen wir in der Debatte viel weiter vorn an. Ich frage Sie hier und heute: Muss es denn eigentlich ein Endlager sein? «
» Die atomaren Abfälle strahlen doch Hunderttausende von Jahren, da sollte man schon …«
»… gut drauf aufpassen, da gebe ich Ihnen vollinhaltlich recht, Frau Bitter. Ich persönlich bevorzuge übrigens die Bezeichnung › Zerfallwertstoffe ‹ . Aber zurück zu Ihrer Frage: Tut man das eigentlich, geht man eigentlich verantwortungsvoll mit Zerfallwertstoffen um, indem man sie in Fässer packt und so tief im Boden vergräbt oder im Meer versenkt, dass man sie vermeintlich nicht mehr sieht? Wir werden auch in Zukunft Zerfallwertstoffe höchst sicher lagern, und zwar hinter sehr dicken Mauern. Hunderten von Metern dicken Mauern. Denn die haben wir. Wir haben die Berge. «
» Ääh … die bayerischen Berge, Herr Minister? «
» Richtig. Vollinhaltlich korrekt, Frau Bitter. Weil eines ja klar ist: Wenn Sie hinkommen, wenn mal etwas ist – wobei ja nie was ist, weil das ja gar nicht sein darf, weil das ja praktisch ausgeschlossen ist …«
»So ein Schmarrn.« Katharina Mitterer schaltete den Fernseher aus. Sie konnte das Gelaber nicht länger ertragen. »Atommüll im Berg. So weit kommt’s noch.« Sie schüttelte den Kopf, während sie den Ohrenbackensessel in die richtige Position hob. Sie musste sich um die wirklich wichtigen Dinge kümmern. Für den nächsten Tag waren Rohrnudeln vorzubereiten. Viele Rohrnudeln.
Eine Touristengruppe hatte sich angesagt. Zwei oder drei Mal jährlich kamen die vom bayerischen Staat eingeladenen israelischen Diplomaten, Politiker und Geschäftsleute bei ihr in Mittergraseck vorbei. Der Mittererhof war einer der wenigen Orte in Bayern, an dem zum Ende der Naziherrschaft ein Dissident mit jüdischen Wurzeln versteckt gehalten worden war. Darauf verwies man als Ausgleich zum obligatorischen Besuch des KZ Dachau stets sehr gern. Amerikanischen Delegationen präsentierte man bevorzugt das Hofbräuhaus, chinesischen Abgesandten gern auch einmal die Rotlichtetablissements rund um den Mittleren Ring und Arabern die von Geschwindigkeitsbeschränkungen weitgehend freigehaltene A95 München–Garmisch.
Bier, Bumsen, BMW standen zwar auch auf dem Programm der meist männlichen Reisenden aus dem Gelobten Land. Doch erfahrungsgemäß waren die jüdischen Besucher geradezu süchtig nach Kathis Werdenfelser Rohrnudeln. Also ging sie vom Wohnzimmer in die Küche und zog die Küchenwaage und eine großformatige Reine aus dem Schrank.
Als sie das Mehl abwiegen wollte, klopfte es an der Küchentür. Onkel Albert kam auf einen spätabendlichen Besuch vorbei.
»Schon halb neun. Was treibt dich so spät da herauf, Onkel Albert?«, fragte Kathi, ohne von ihrem Werk abzulassen. Nachdem sie das Mehl genau bemessen hatte, wischte sie die Hände an der Schürze ab und schenkte dem Onkel wortlos ein Hefe-Weißbier ein, das sie vor ihm abstellte.
»Machst Rohrnudeln für die hohen Gäste?«
»So isses. Kommen morgen zu zwanzigst mit irgendeinem Unterstaatssekretär aus der Staatskanzlei. Ich glaub, ich bin der absolute Höhepunkt auf deren Reise. Oder meine Rohrnudeln. Wahrscheinlich sollte ich einfach meinen Preis verdoppeln.«
»Du tust auch Gutes für den Ruf unseres Landes, vergiss das nicht.«
»Ja ja, Onkel Albert, scho recht. Nur wenn ich in den
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