Herrgottschrofen
Freistaat für eine dauerhafte Zwischenlagerung atomarer Abfälle.
Wenn das herauskam, konnte sich Bürgermeister Meier gleich ein Austragshäusl in Alaska oder auf den Fidschis suchen. Nie und nimmer würden die Garmisch-Partenkirchner die Lagerung von Atommüll in ihren Bergen gutheißen. Freilich, zu so unschönen Szenen wie in Gorleben, Wackersdorf oder Stuttgart würde es nicht kommen. Der Oberbayer taugte nicht zum Wutbürger. Aber der eh schon angekratzte Ruf der Partei und damit das Wahlergebnis eines Bürgermeisters Meier würden geradezu pulverisiert, wenn diese Ideen ruchbar wurden. Und da der Bürgermeister außer einem mittelmäßigen ersten Staatsexamen in Juristerei keinerlei Qualifikation oder Erfahrung vorzuweisen hatte, wäre das Ende seiner Karriere als Lokalpolitiker gleichbedeutend mit dem Ende seines Erwerbslebens. Im Ort würde niemand mehr etwas mit ihm zu tun haben wollen. Ein Dasein als Kneipier schied also aus. Vielleicht könnte er einen Kiosk übernehmen. Rauchern war es egal, wo und bei wem sie ihre Suchtmittel erstanden. Aber auch die Raucher wurden immer weniger.
Diese düsteren Zukunftsaussichten veranlassten ihn dazu, den Brechtl Toni auf der Tunnelbaustelle aufzusuchen. Hier heraußen am Herrgottschrofen konnte er dem Müllunternehmer die Leviten lesen. Ohne dass das gleich der ganze Ort erfuhr. Er wusste den Verräter an seiner Heimat und seinen Mitbürgern, wie er ihn zu betiteln sich fest vorgenommen hatte, in einem der knallgelben Bürocontainer am Rande der Kieswüste. Wie eine Trutzburg empfingen ihn die vier aufeinandergestapelten Bürokisten, die natürlich das Konterfei ihres Besitzers trugen.
»Ob kalt, ob heiß – ich kümmer mich um jeden Scheiß«, las sich Hans W. Meier den in Garmisch-Partenkirchen allgegenwärtigen Satz leise vor. »Dieser Scheiß wird dir zu heiß, mein Lieber!«, grummelte er vor sich hin, bevor er die Metalltür eines Containers aufriss, an der das Schild BAULEITUNG hing.
Er stand vor einem überraschten Brechtl. Der hatte, hinter seinem Schreibtisch sitzend, in »Müll und Abfall« geblättert, der Fachzeitschrift des Entsorgungswesens.
Bürgermeister Meier riss ihm das Magazin aus den Händen und schlug es zu. Mit einem verächtlichen Blick auf das in kommunalorange gehaltene Logo der Abfallpostille schrie er: »Aha. Kommt man da auf so superschlaue Ideen?« Dann feuerte er das Heft in die Containerecke.
Der Bagger-Toni starrte ihn fassungslos an. »Sag amal, drehst du jetzt total durch? Und überhaupt, was für Ideen?«
»Das weißt du ganz genau, du Verräter, du gemeiner Haderlump, du Bazi, du ganz ausgschamter.«
Der Bagger-Toni erhob sich hinter seinem Tisch. »Eahm schaug o, ganz der ander. Soll ich dir einen Platzverweis erteilen?«
»Das ist immer noch mein öffentlicher Grund, auf dem deine Scheißhäuslcontainer umanandastehn, nur dass des klar ist!«, konterte der Bürgermeister.
»So …«, der Brechtl setzte sich wieder und ließ den Bürgermeister vor seinem Schreibtisch stehen. »Ganz recht. Öffentlich. Sogar sehr öffentlich. Höchstes öffentliches Interesse herrscht an diesem Grund. Und an der Röhre, die wir da reintreiben in ein paar Wochen. Und du kannst es dir ja überlegen, wie öffentlich du das haben willst.«
Vor Wut wäre der Meier beinahe wie ein bengalisches Licht verglüht. »Sauhund, elender!«, schimpfte er weiter, aber der Brechtl nahm es als Kompliment und lachte sein dreckiges Bagger-Toni-Lachen.
»Ja, Hund samma scho, elende!«, freute er sich und griff zur Zigarilloschachtel, um sich auf seinen Triumph erst einmal eine Purito der Marke Romeo y Julieta anzustecken. Er genoss den ersten Zug, lehnte sich in seinem Chefsessel zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf.
Der Bürgermeister hielt die Provokation nicht länger aus. Er sprang um den Schreibtisch herum und packte Anton Brechtl am Kragen. »Du versaust mir nicht unser Tal! Du nicht! Und wenn es das Letzte ist, was ich tue, den Deal verderb ich euch, darauf kannst Gift nehmen!«
Ohne dass er den Brechtl auch nur einen Zentimeter nach oben bewegt hätte, ließ er wieder von ihm ab. Mit höchster Befriedigung bemerkte er, dass er ihm zwei Hemdknöpfe abgerissen hatte.
Unter dem Hemd kam eine Tätowierung auf der Brust zum Vorschein. Brechtl bedeckte sie sofort wieder. Doch der Bürgermeister war viel zu aufgebracht, um auf solche Spinnereien wie Tätowierungen zu achten.
Der Bagger-Toni ließ den Bürgermeister ungeschoren.
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