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Herrgottswinkel

Herrgottswinkel

Titel: Herrgottswinkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ramona Ziegler
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und für alle ein Gläschen Enzian zum Abschluss – und zur Feier des Tages.
    Beim Abschied fragte Henne, ob er wieder einmal bei ihr vorbeischauen dürfe. Anna verneinte nicht und begleitete den besten Freund ihres Mannes bis zu seinem Gespann, das er vor den Hof führte, um ihrer ganzen Familie Lebewohl zu sagen, bevor er wieder Richtung Tiefenbach losfuhr.
    Anna setzte sich mit ihren Eltern auf die alte Holzbank vor dem Haus. Es war warm geworden, die Sonne hatte bereits die ersten Grasflecken freigelegt und das Wasser tropfte von den Eiszapfen, die vom Dach nach unten ragten. Anna fing sofort an, zu erzählen, was ihr alles bei den Gundlers zugestoßen war. Die Worte sprudelten nur so aus ihr heraus, sie war froh, endlich darüber reden zu können – und vor allem mit Menschen, die ihr wohlgesinnt waren. Während der ganzen Zeit spielte ihr Vater mit der kleinen Johanna auf seinem Schoß, die immer wieder versuchte, seinen Finger zu ergreifen und dabei wild mit ihren kleinen Ärmchen herumzappelte.
    »Es war richtig, dass du nach Hause gekommen bist!« Ihre Mutter war ganz entrüstet, wie ihre Tochter behandelt worden war. »Wenn wir auch nicht viel haben, Bettler sind wir keine. Und lieber wenig zu essen als wenig Mitgefühl!«
    »Erinnerst du dich, Anna«, pflichtete ihr Vater bei, »als ich dir damals gesagt habe, was das für ein kaltes Weib ist? Sogar den eigenen Mann behandelt sie wie einen Deppen, nur gut zum Arbeiten, aber ohne Rechte.« Kopfschüttelnd erhob er sich mit seiner Enkeltochter im Arm. »Doch auch für die wird einmal der Zahltag kommen. Glaube mir, Anna, Gottes Mühlen mahlen, und auch wenn sie nur ganz langsam mahlen, vergessen tun sie keinen, auch die alte Gundlerin nicht.«
    »Solange ich lebe, wird sie ihre Enkeltochter jedenfalls nicht mehr zu Gesicht bekommen«, erklärte Anna voller Genugtuung.
    »Das macht der doch nichts«, erwiderte Annas Mutter. »Diese Frau hat kein Herz im Leib, sie weiß gar nicht, was Liebe und Mitgefühl sind. Im Grunde kann man sie nur bemitleiden, denn sie bestraft sich durch ihr eigenes Handeln selbst.«
    »Es gibt Menschen, die sind schon tot, obwohl sie noch auf Erden leben, denn von ihnen wird nicht einmal mehr in der engsten Familie gesprochen.« Annas Vater versuchte, seiner Tochter einen kleinen Trost für die erlittenen Demütigungen zu spenden. »Und so wollen wir es mit ihr in unserer Familie halten.«

SIEBTES KAPITEL
    Drei Jahre zogen ins Land und wieder hielt der Winter Einzug – wie immer Anlass für Anna, dem Alpsommer auf Rangiswang nachzusinnen. Auch dieses Jahr hatte sie ihre Tochter mitgenommen und Johanna war ihr sogar schon etwas behilflich gewesen. Ein früherer Sommer dort oben kam Anna in den Sinn, der schöner gewesen war als ein Traum. Wie Daniel sie heimlich nachts besucht hatte, welch vertraute Zweisamkeit und große Liebe sie mit ihm hatte erleben dürfen. Das alles schien so weit entfernt und so unwiederholbar verloren, dass sie sich zwingen musste, in die Gegenwart zurückzukehren, sonst hätte die Verzweiflung schnell wieder von ihr Besitz ergriffen.
    Ihre kleine Johanna gedieh prächtig, und Anna hatte tag täglich große Freude an ihr. Die Haare ihrer Tochter waren schnurgerade und wollten sich gar nicht locken, ihre Augen strahlten in demselben Rehbraun wie die von Anna. Aber was ihren Charakter und ihre Sturheit betraf, da war sie ganz Daniel nachgeschlagen. Während der ersten beiden Jahre war Annas Mutter mit auf die Alpe gekommen, weil ihre Tochter so viel zu tun hatte, die Winter verbrachten sie alle gemeinsam auf dem Hof der Eltern, wo Anna der Mutter half. Es hatte in dieser Zeit einige Verehrer gegeben, doch mit dem Thema hatte Anna abgeschlossen. Jeden verglich sie insgeheim mit Daniel, und schon hatten sie bei ihr jegliche Chance verspielt.
    Doch einen gab es, der hatte ihr schon den Hof gemacht, als sie gerade einmal sechzehn gewesen war. Annas Vater hatte ihn damals mit einer Geißel vom Hof vertreiben müssen, so zudringlich war er gewesen. Berkmann hieß er und hatte einen Hof mitten in Bolsterlang. Er war zehn Jahre älter als Anna und lebte, seit sie sich erinnern konnte, mit seinen beiden Brüdern, die zwölf und fünfzehn Jahre älter waren als er selbst, auf diesem elterlichen Hof. Die Brüder waren milde ausgedrückt etwas seltsam und wurden von allen Dörflern nur Rumpler und Bumpler geheißen. Klein, untersetzt und menschenscheu waren sie und trugen, schon immer wie es schien, schwarze Vollbärte

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