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Herrgottswinkel

Herrgottswinkel

Titel: Herrgottswinkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ramona Ziegler
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mitgemacht«, war ihre erste unsichere Reaktion. »Wie sollte ich da helfen können?«
    »Ich weiß«, erwiderte Anna. »Aber ich wüsste nicht, wen ich sonst um Hilfe bitten sollte.«
    »Wir müssen die Mutter wecken, die weiß, wie das geht.«
    »Nein, Burgel, wir beide werden das auch alleine schaffen! Das bist du Daniel, mir und dem Ungeborenen schuldig, hörst du? Nach allem, was gestern mit der alten Gundlerin vor gefallen ist, will ich sie keinesfalls dabeihaben. Lieber sterbe ich!«
    Burgel stand auf und stützte Anna auf dem Weg in die Küche hinunter. Dort war es warm, und im Schiffchen befand sich noch genügend warmes Wasser, mit dem Burgel sofort mehrere Tücher tränkte. Anna hatte sich inzwischen leise stöhnend auf die harte Eckbank im Herrgottswinkel gelegt und versuchte durch regelmäßiges Atmen ihre Wehen unter Kontrolle zu bekommen. Burgel tupfte ihr die Stirn und schon nach der fünften Presswehe kam das Kind. Blutverschmiert und von blauroter Farbe lag es in Burgels Armen, gesund und bereits so kräftig, dass sein erster Schrei eigentlich alle im Haus geweckt haben musste. Ihre Schwägerin rieb das Kind mit einem der nassen, warmen Tücher ab, durchtrennte die Nabelschnur mit einem bereitgelegten Messer und legte das Neugeborene dann in ein Handtuch gehüllt auf Annas Bauch. Danach beseitigte sie die Nachgeburt und wurde selbst von so unglaublicher Freude übermannt, dass ihr die Tränen kamen.
    »Wenn das der Daniel noch erlebt hätte«, stieß sie schluchzend hervor, wobei sie Anna kurz an sich drückte und dem Kind vorsichtig über das Köpfchen streichelte. Schließlich brachte sie Anna eine große Unterhose mit Stoffeinlagen, die sie in den nächsten Tagen benutzen sollte.
    »Was ist es denn«, fragte Anna, die das Kind noch gar nicht richtig hatte ansehen können.
    »Ein Mädchen«, antwortete Burgel.
    »Da hat Daniel also doch recht behalten, er wünschte sich immer ein Mädchen.« Mein Gott, wie gerne hätte sie ihn in diesem Augenblick neben sich gehabt!
    »Und wie soll sie heißen?« Burgel wollte wie immer alles ganz genau wissen.
    »Johanna, wie Daniels Großmutter – und so wie meine Mutter.« Anna lachte überglücklich, dass sie alles so gut und schnell überstanden hatte. »Aber warte mit der guten Nachricht noch bis morgen früh, lass deine Eltern weiter schlafen. Es reicht, wenn sie dann erfahren, dass sie heute Nacht Großeltern geworden sind.«
    Burgel strich der kleinen Johanna noch einmal zärtlich über den kahlen Kopf, dann half sie Anna die schiefe Treppe nach oben und ließ, nachdem sie deren nasses Bett bemerkt hatte, die frischgebackene Mutter mit ihrem Neugeborenen bei sich übernachten. Eng umschlungen und das Kind in ihrer Mitte wärmend schliefen sie ein.
    Die winterliche Stille und ein für das Gundler’sche Anwesen ungewohnter Friede hatte sich über den fast unter dem Schnee begrabenen Bauernhof gelegt.
    In der ersten Morgendämmerung des folgenden Tages stand Anna mit dem kleinen Bündel am Fenster ihrer Kammer, in die sie gleich nach dem Aufstehen zurückgekehrt war. Ihr Entschluss stand fest: In diesem Haus, in dem sie und ihr Kind nur geduldet sein würden, wollte sie nicht bleiben. Schon allein um ihrer Johanna eine schöne Kindheit sicherzustellen, musste sie baldmöglichst fort von hier.
    Es hatte wieder leicht zu schneien angefangen, in diesem Jahr wollte der Frühling wohl überhaupt nicht kommen. Heute – am elften März 1873 – lag vor dem Haus noch über ein Meter Schnee. Selbst unten im Tal war über Nacht alles wieder ganz weiß geworden. Anna hörte ihre Schwiegermutter in der Küche unten hantieren und wieder einmal war sie dabei, vor sich hin zu schimpfen. Diesmal, weil das Feuer im Ofen nicht recht brennen wollte. Es half alles nichts, Anna musste hinunter, und so nahm sie all ihren Mut zusammen und stieg entschlossen mit dem Kind im Arm die Stiege hi nab. Als sie die Tür zur Küche öffnete, saßen bereits alle am Tisch und hatten mit der Morgenmahlzeit begonnen. Mit dem Rücken zu ihr die dürre, ausgemergelte Gestalt ihres Schwiegervaters, rechts davon am Fenster ihr Schwager, der kaum aufschaute, als sie ins Zimmer trat. Dem Vater gegenüber saß Burgel und kurz huschte ein Lächeln über ihr Gesicht, als sie Anna und Johanna erblickte.
    »Ich muss Euch was sagen«, begann Burgel aufgeregt mit den Neuigkeiten. »Heute Nacht habe ich der Anna geholfen, ihr Kind zur Welt zu bringen.«
    »Und was ist es geworden, Junge oder Mädchen?«

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