Herrgottswinkel
musste.
Beim nächsten Treffen im Februar sah sie ihn schon von Weitem, wie er kerzengerade an eine einzelne Eibe gelehnt auf sie wartete. Er lachte sie an, als sie in seine Arme flog, und drückte sie, dass ihr fast die Luft wegblieb. Sie hatte ihm heute endlich die fertig gestrickten Fingerhandschuhe mitgebracht, ein Geschenk, damit seine Hände auf seinen Kon trollritten nicht mehr blau vor Kälte wurden.
»Wahrscheinlich könnte heute der erste richtig warme Tag im Februar werden«, meinte er zur Begrüßung. »Deswegen wollte ich mit dir zu unserer Quelle gehen, wo die Sonne so lange über der Lichtung steht.«
Sie bemerkte, dass er eine Decke mitgebracht hatte, damit sie es auf der Bank bei der Quelle bequem haben würden. Anna freute sich, das Licht dort, die glucksenden Ge räusche des zutage tretenden Wassers und die Nähe ihres Liebsten ließen einen erholsamen Nachmittag erwarten. Sie hatte versprochen, zum Abendessen zurück in Westerhofen zu sein. Die Luft hier im Mischwald war heute besonders erfrischend, wenn sie auch noch die Schärfe des Winters in sich trug, sobald man sich zu lange im Schatten der großen Bäume aufhielt. Endlich war am Ende der Schlucht die kleine kreis förmige Öffnung zwischen den Moospolstern zu sehen, aus der das silbrig glitzernde, Blasen werfende Wasser her vorsprudelte. Obwohl die Quelle im Schatten von Bäumen lag, befand sich direkt daneben, etwa einen Meter erhöht, ein winziger, mit vielen Schneeglöckchen bewachsener Fleck Waldwiese. Auf ihm stand eine Bank im prallen Sonnenlicht, die sich an einen baufälligen Heustadel lehnte. Durch die geschützte Lage war es hier angenehm warm und die beiden ließen sich nun, nachdem die Decke ausgebreitet war, in der Sonne nieder.
Franz zeigte sein Verlangen, kaum dass Anna neben ihm saß. Er drängte sich an sie und als er sie zärtlich küsste, erschauerte sie, während seine Hände zur selben Zeit versuchten, die Knöpfe ihrer Bluse zu öffnen. Sie ließ es geschehen, sie ließ alles geschehen, denn Nein sagen hatte sie in ihrem Leben bisher nicht gelernt. Außerdem glaubte sie, ihn bereits viel zu lange vertröstet zu haben, und hatte Angst, ihn zu verlieren, wenn sie sich wieder einmal zierte. Er nahm dies als Auf forderung, weiterzumachen, seine Berührungen wurden fordernder, seine Küsse ungestümer – und auch Annas Körper begann zu reagieren, jetzt wollte sie, dass er sie umarmte, immer wieder umarmte, jetzt, wo ihre Empfindungen so intensiv geworden waren. Auch sie strich ihm über den Rücken und durchs Haar, erforschte beim Küssen seine Lippen, seinen Mund. Aus der Mitte ihres Bauches breitete sich wohlige Wärme über ihren ganzen Körper aus, die sie angenehm benommen machte und ihr jegliches Zeitgefühl raubte. Sie wollte, dass dieser Augenblick nie verging, dass seine Berührungen nie aufhörten, und selbst, als plötzlich ein kurzer, stechender Schmerz durch ihren Unterleib fuhr, empfand sie diesen fast als dazugehörig, denn er wich sofort noch viel stärkeren Wohlgefühlen, die sie so noch nie erlebt hatte.
Jetzt hörte sie ihn, wie er stoßweise und sehr laut direkt neben ihrem Ohr atmete. Auch für ihn schien es im Augenblick nur ihre Zweisamkeit, den Gleichklang ihrer Empfindungen zu geben. Vor Glück drückte sie ihn an sich, freute sich, dass sie ihm so viel geben konnte, dass sie ihm so viel bedeutete. Warum hatte sie diesen Moment nur so lange hinausgezögert, jetzt konnte sie ihm endlich zeigen, dass er der Mann war, auf den sie neunundzwanzig Jahre gewartet hatte, zu dem es sie mit jeder Faser ihres Körpers hinzog. Seit er in ihr Leben getreten war, hatte plötzlich das Dasein einen neuen Sinn bekommen. Sie war glücklich, wenn Franz glücklich war. Und so sollte es bleiben, dafür wollte sie kämpfen, denn sie hatte lange darauf warten müssen!
Als sie hinterher in seinem Arm auf der Decke lag und in den Himmel schaute, rannen ihr Tränen aus den Augenwinkeln, nicht, weil sie selbst so glücklich war, sondern weil sie jemand anderem solches Glück bereitet hatte. Wie viel mehr wog diese Anerkennung im Vergleich zu jener, die sie bisher als einzige kannte: die für ihre Geschicklichkeit beim Nähen. Natürlich, sie hatte dafür Grenzen überschritten, Grenzen der Anständigkeit, doch die Belohnung war in ihren Augen unendlich mehr wert als die Moralvorstellungen, an die sie sich bisher gehalten hatte.
Und das war auch der Grund, warum es nicht bei diesem einen Mal blieb.
Sooft es nur ging,
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