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Herrgottswinkel

Herrgottswinkel

Titel: Herrgottswinkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ramona Ziegler
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vierundzwanzig, als Vater Euch geheiratet hat! Und Ihr standet kurz vor der Geburt Eures dritten Kindes, als Ihr so alt wart, wie ich jetzt bin. Mit meinen siebenundzwanzig Jahren hatte ich noch nicht einen Verehrer!«, hatte sie erst vor Kurzem zu Johanna gesagt, die davon aber nichts hören wollte.
    Irgendwie schien das Leben an ihr vorüberzugehen – vielleicht war sie auch in dieser Hinsicht am falschen Tag geboren. Sie war einfach vergessen worden, so musste es sein, denn die Freundinnen aus der Schulzeit waren bereits verheiratet, hatten meist schon Kinder. Und was hatte sie erreicht? Sie war zur Haus- und Hofschneiderin der gesamten Großfamilie avanciert: Eltern, Geschwister, Schwägerinnen, Cousinen, Tanten, sogar entfernte Verwandte nahmen ihre Dienste gern in Anspruch. Denn sie half immer, jedem, der einen Wunsch ihr gegenüber äußerte – und mit besten Ergebnissen. Nur schaffte sie es manchmal kaum, sich am Vormittag auf den Beinen zu halten, weil sie wieder einmal erst im Morgengrauen den Weg ins Bett gefunden hatte. Und wenn sie bisweilen abends ihr Gesicht im Spiegel sah, war sie selbst erschrocken über die dunklen Schatten unter den Augen und die Blässe ihres Gesichts, die davon Zeugnis ablegte, wie selten sie ihr Zimmer verließ.
    »Die Arbeit hört wohl nie auf«, hielt sie manchmal leise klagend Zwiesprache mit ihrer Nähmaschine, doch auch die wusste nicht, wie es besser werden sollte.
    Als Anna sich schon fast damit abgefunden hatte, ihr weiteres Leben als schneidernde Jungfer fristen zu müssen, änderte sich plötzlich ihre Situation. Seit einiger Zeit schon ritten zweimal in der Woche die neuen Zollbeamten durch Westerhofen, die im Nachbarort Hüttenberg eine Schnapsbrennerei zu kontrollieren hatten. Sie waren stets zu zweit, und man hätte die Uhr nach ihnen stellen können, so pünktlich war der Hufschlag ihrer Pferde vorm Hof von Annas Eltern zu hören. Als Anna bei dieser Gelegenheit einmal zufällig aus dem Fenster geschaut hatte, war ihr Blick sofort an einem der beiden Zöllner hängen geblieben, einem hoch gewachsenen, blendend aussehenden Mann im besten Alter. Seitdem unterbrach sie nun jeden Dienstag- und Freitagvormittag, sobald die Hufschläge erklangen, die Arbeit an der Nähmaschine, um die Blumen auf dem Fenstersims zu gießen, von dem aus sie einen guten Blick über die Dorfstraße und auf den feschen Mann in seiner grauen Uniform hatte. So hoch zu Ross war er eine absolute Respektsperson und er entbot ihr jedes Mal aufs Eleganteste einen Gruß – zweifellos war er die beste Partie, die ihr je unter die Finger kommen würde! Anna fieberte diesen kurzen Momenten immer schon Stunden vorher entgegen. Kurz bevor die Männer vorbeiritten, wurden noch einmal Frisur und Kleidung gründlich inspiziert, und lange nachdem das Hufgeklapper verstummt war, konnte sie noch ihr Herzklopfen und die Röte auf ihren Wangen spüren.
    Nach dem Frühling, der in diesem Jahr besonders zeitig gekommen war, begann Anna sich Gedanken darüber zu machen, welchen Schritt sie als Nächstes tun konnte – tun musste –, damit aus diesen wöchentlichen Begrüßungszeremonien endlich mehr wurde. Aber ihr fiel nichts Schickliches ein und sie schalt sich schon insgeheim, dass Träume eben nur Träume sind, da geschah das Unerwartete: Eines Spätsommermorgens brachte der Zöllner sein Pferd direkt vor ihrem Haus zum Stehen, stieg ab und klopfte laut und deutlich an der Tür. Ihre Mutter öffnete ihm, und er wurde hereingebeten. Dann hörte Anna, wie er kurz mit ihrem Vater sprach. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, doch sosehr sie sich auch anstrengte, sie bekam von der Unterhaltung kein Wort mit.
    »Anna, komm herunter! Hörst du, Anna?« Ihre Mutter rief die Treppe hoch nach ihr.
    Noch schnell einen Blick in den Spiegel, das musste sein, dann stieg Anna in höchster Anspannung die Stiege hinunter und zählte dabei jede Stufe mit. Doch, welche Enttäuschung, unten warteten nur ihre Eltern auf sie, der Zöllner hatte das Haus schon wieder verlassen.
    »Kennst du diesen Mann?« Ihr Vater sah sie prüfend und sehr ernst an.
    Anna schüttelte heftig ihren Kopf. »Nein«, erwiderte sie wahrheitsgemäß und etwas verwirrt über diese Frage. »Woher sollte ich denn?«
    »Wie kommt es dann, dass er deinen Namen kennt und dich am Sonntag zu einem Spaziergang abholen möchte?« Auch ihr Vater schien verwirrt, doch er war zumindest nicht wütend.
    »Darauf habe ich keine Antwort, Vater. Da müsst Ihr ihn schon

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