Herrin auf Kimbara
Tränen nicht mehr zurückhalten können. Wenigstens war ihr Vater wieder glücklich geworden.
Als sie Fiona Kinross’ Auftrag angenommen hatte, hatte sie nicht ahnen können, was für eine Tragödie sich ereignen würde. Was machte sie hier? Wie hatte sie sich so weit mit der Familie Kinross einlassen können?
Noch immer konnte sie nicht fassen, dass Stewart tot war.
Nur sie und Brod hatten ihn sterben sehen. Es war ein großer Schock gewesen.
Nach der Trauerfeier fanden sich die Gäste zu einem gemeinsamen Imbiss im Haus und auf den Veranden ein. Die meisten tranken Tee oder Kaffee, doch einige Männer konsumierten Whisky, als wäre es Mineralwasser. Obwohl sich alle leise miteinander unterhielten, herrschte ein konstanter Geräuschpegel, der Ally noch nervöser machte, als sie ohnehin schon war, und sie veranlasste, ans äußere Ende der seitlichen Veranda zu gehen. Irgendwann würde sie Rafe gegenübertreten müssen, und dabei wollte sie nicht noch beobachtet werden.
Wie die meisten anderen Frauen hatte sie ihren Hut inzwischen abgenommen. Das Haar hatte sie hochgesteckt, und nun klebten ihr einige feuchte Strähnen, die sich gelöst hatten, im Nacken. Sie wandte sich ab und blickte in die Ferne. In den Gärten blühten zahlreiche Blumen. In etwa einem Monat würde auch die Wüste zu blühen anfangen und ein einziges Blütenmeer sein. Als kleines Mädchen hatte es sie immer fasziniert, dass die Immortellen nicht welkten.
Die Sturt Peas, nach dem Entdecker benannt, würden sich mit ihren purpurroten Blüten über die von Mulga-Scrub bewachsenen Ebenen ranken, die parakeelyas mit ihren fleischigen Blättern würden bunte Muster im Sand bilden, und der unglaublich widerstandsfähige Spinifex würde grün werden und das Landschaftsbild später so verändern, dass die Wüste an endlose Weizenfelder erinnerte.
Wie sie das alles vermisste! Obwohl sie viel von Tante Fees Talent geerbt hatte und eine sehr erfolgreiche Schauspielerin war, hatte sie sich in der Stadt nie richtig zu Hause gefühlt. Das hier war ihre Welt, diese Wüste, die voller Leben war, dieses von der Sonne verbrannte Land der intensiven Farben. Die grüne Küste hatte auch ihren Reiz, doch nichts sprach sie so an wie Kimbara. Ally war so in Gedanken versunken, dass sie zusammenzuckte, als ein Mann sie ansprach.
»Ally?«
Als sie sich von dem schmiedeeisernen Geländer abwandte, sah sie sich Rafe gegenüber, der sie aus zusammenge-kniffenen Augen betrachtete. Ihr schwirrte der Kopf. Rafe war ein großer Mann, und selbst jetzt, da sie hochhackige Pumps trug, musste sie zu ihm aufblicken. Wie immer war er ganz Gentleman, aber er wirkte distanziert. Wie die meisten Männer hatte er wegen der starken Hitze sein Jackett abgelegt und die Krawatte gelockert, und sein weißes Hemd betonte seine breiten Schultern. Er sah so atemberaubend aus wie eh und je mit der geraden, fein geschnittenen Nase, dem markanten Kinn, den vollen Lippen, dem gebräunten Teint und dem dichten blonden Haar.
»Und? Sehe ich besser oder schlechter aus?« fragte er schließlich mit einem ironischen Unterton.
»Du siehst toll aus, Rafe«, erwiderte Ally. Das war stark untertrieben, denn genau wie Brod war er wesentlich reifer und imposanter als damals.
»Ich hatte noch nicht die Gelegenheit, dir zu sagen, wie schockiert Grant und ich über Stewarts Tod waren«, erklärte er ernst. »Herzliches Beileid. Grant wird auch noch mit dir reden. Er spricht gerade den anderen sein Mitgefühl aus.«
»Danke, Rafe«, sagte sie leise. Ihre Gefühle wurden immer stärker.
»Du bist zu dünn«, verkündete Rafe dann unvermittelt.
»Das muss ich auch sein«, antwortete sie betont forsch.
»Vor der Kamera wirkt man immer dicker.«
Wieder gestattete er es sich, sie zu betrachten. »Du siehst aus, als würdest du beim leichtesten Windstoß umfallen.«
Er war bestürzt über die Gefühle, die Ally in ihm weckte.
»Mit deiner Serie scheinst du das große Los gezogen zu haben.«
Ally lehnte sich ans Geländer. »Darin steckt harte Arbeit.
Nach dem Drehen fahre ich immer gleich nach Hause, um meinen Text zu lernen. Morgens muss ich sehr früh aufstehen.«
»Trotzdem dürftest du nicht so mitgenommen aussehen.«
»Sehe ich denn so aus?«
»Von dem Schock über den Tod deines Vaters einmal abgesehen, hast du dich verändert.« Er würde ihr nicht sagen, dass sie wunderschön war, selbst wenn sie zu zerbrechlich wirkte. Die Ally, die er damals in den Armen gehalten hatte, war nicht so
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