Herrin der Falken - 3
doch scheint er nicht auf den Gedanken zu kommen, ich, seine kleine Schwester sollte mit der gleichen Gerechtigkeit behandelt werden. Also ist Carolins Armee von der alten Vorstellung beherrscht, ein Mann könne jede Arbeit besser tun als die talentierteste Frau.«
Ihre rebellischen Gedanken rissen ab, als sie Jandria sah, die Sonnenstern am Zügel hielt. Er war gesattelt und gezäumt.
Jetzt erkannte er Romilly, hob seine seidige Nase und wieherte leise. Romilly berührte die Gedanken des Pferdes in liebevoller Begrüßung.
Jandria sagte: »Es ist der Schwesternschaft eine Ehre, daß wir dem König dies herrliche Geschenk machen können, und in ihrem Namen danke ich dir.«
»Ich bin es, der Ehre widerfährt«, antwortete Romilly scheu. »Es war eine Freude, mit Sonnenstern zu arbeiten.“
»Da kommt er, mit Lord Orain«, bemerkte Jandria. Romilly sah Orain, der zum Reiten angezogen war, neben einem Mann in einem Kapuzenmantel. Beide schritten auf sie zu. Aufgeregt faßte sie nach Sonnensterns Zügel.
»Hoher Lord, Ihr erweist uns Gnade.« Jandria verbeugte sich tief. »Es ist der Schwesternschaft vom Schwert eine Ehre und eine Freude, Euch dieses prachtvolle Pferd zu übergeben. Ausgebildet hat es Romilly, unsere beste Pferdetrainerin.«
Romilly schlug die Augen nicht zu dem König auf, obwohl sie sich Orains Blick bewußt war. Die Nase des Pferdes betrachtend, erklärte sie: »Sein Name ist Sonnenstern, Euer Majestät, und er beherrscht alle Schritte und Gangarten. Er wird Euch mit Liebe tragen; Peitsche und Sporen hat er nie zu spüren bekommen.«
»Wenn Ihr ihn trainiert habt, Mistress Romilly, weiß ich, daß er gut ausgebildet ist«, erklang eine vertraute Stimme. Sie sah zu der verhüllten Gestalt des Königs auf und in die Augen Dom Carlos vom Blauen See. Ihre Überraschung brachte ihn zum Lächeln. »Es tut mir leid, daß ich Euch gegenüber im Vorteil bin, Mistress MacAran. Ich weiß seit langem, wer Ihr seid…«, und sie erinnerte sich an den Augenblick, als sie die Berührung seines Laran gefühlt hatte.
»Ich wünschte, Ihr hättet es mir gesagt, vai dom«, fiel Orain ein. »Ich hatte keine Ahnung, daß sie ein Mädchen ist, und habe mich fürchterlich zum Narren gemacht!«
Dom Carlo – nein, erinnerte Romilly sich, König Carolin, Hastur von Hastur, Lord von Thendara und Hali – sah Orain mit offener, herzlicher Zuneigung an. »Du siehst nur, was du sehen möchtest, bredu.« Er klopfte Orain auf die Schulter. Zu Romilly gewandt, fuhr er fort: »Ich danke Euch und der Schwesternschaft für das herrliche Geschenk und für Eure Treue zu mir. Glaubt mir, beides ist mir kostbar. Und ich habe gehört, daß Ihr Euch weiter mit den Kundschaftervögeln beschäftigen werdet, deren Leben Ihr rettetet, als wir uns unterwegs nach Nevarsin begegneten. Ich werde nicht vergessen, was…«, er zögerte und lächelte, »meine Schwertfrau getan hat. Ich danke Euch. Ich danke euch allen.«
Romilly berührte Sonnenstern mit einer liebenden, endgültigen Geste des Abschiednehmens. »Diene ihm gut«, flüsterte sie, »trage ihn treu, liebe ihn, wie ich… wie ich dich liebe.« Sie trat von dem Tier zurück und sah zu, wie der König den Zügel ergriff und aufstieg.
Er hat etwas von dieser Gabe, daran erinnere ich mich gut. Sonnenstern gerät nicht an einen brutalen oder gefühllosen Mann, sondern an einen, der seinen wahren Wert zu schätzen weiß.
Trotzdem war sie beunruhigt. Dom Carlo hatte gewußt, daß sie ein Mädchen war, und hatte seinen Männern nichts verraten. Aber er hätte ihr die Demütigung durch Orain ersparen können, indem er seinen Freund warnte. Andererseits – sie bemühte sich, gerecht zu sein – brauchte er keine Ahnung von ihren Gefühlen für Orain gehabt zu haben, und ganz bestimmt hatte er nicht erraten können, daß sie sich Orain an den Halsbeziehungsweise in sein Bett – werfen würde.
Es spielte keine Rolle mehr, geschehen war geschehen. Ruyven trat zu ihr, und sie stellte ihn Jandria vor. »Mein Bruder Ruyven; Lady Jandria.«
»Schwertfrau Jandria«, berichtigte die ältere Frau lachend. »Ich habe dir doch gesagt, wir lassen den Rang hinter uns, wenn wir das Schwert ergreifen. Und dein Bruder ist…»
»Ruyven MacAran«, fiel er ein, »Vierter in Tramontana, Zweiter Kreis. Braucht Ihr meine Schwester noch, domna?« Unwillkürlich redete er Jandria mit domna – Lady – an, wie es einer auf gleicher oder höherer Stufe stehenden Frau zukommt, statt mit dem einfacheren mestra, das er
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