Herrin der Falken - 3
hätte jemanden erfinden sollen, der auf sie in jener Stadt wartete und sich auf die Suche nach ihr machen würde, wenn sie nicht zur verabredeten Zeit eintraf. Romilly vergewisserte sich, daß es keine verräterischen Ausbuchtungen an ihrer Kleidung gab, fütterte das Pferd, führte Rorys HirschPony in den Stall und gab ihm frisches Stroh und Futter. Die Blicke dieses stämmigen jungen Schlagetots gefielen ihr nicht. Aber das Reittier konnte gewiß nichts dafür und sollte nicht darunter leiden, daß das Gesicht seines Herrn ihr nicht paßte. Dann trat sie von neuem in die Hütte – und blieb stehen. Sie hörte die Stimme der alten Frau.
»Der Junge war gut zu mir, Rory. Was du vorhast, ist böse und ein Bruch der Gastfreundschaft. Das hassen die Götter.«
Rory antwortete übellaunig: »Du weißt, wie lange ich mir schon ein Pferd wünsche, und solange ich hier am Ende der Welt wohne, werde ich nie eine bessere Chance bekommen. Wenn er ein fortgelaufener Bastard von irgendwo ist, wird man ihn nie vermissen. Hast du seinen Mantel nicht gesehen? Mein ganzes Leben lang habe ich mir schon einen solchen Mantel nicht einmal wünschen dürfen. Schon die Brosche daran würde den Heiler dafür bezahlen, von Nevarsin herzukommen und deine Gelenkschmerzen zu kurieren! Und wenn du ihm etwas schuldig bist – nun, er hat Unterkunft und Feuer für die Nacht gehabt, es war nicht allein Freundlichkeit von ihm. Ich kann ihm die Kehle schnell wie der Wind durchschneiden. Er wird keine Zeit haben, Angst zu bekommen.«
Entsetzt faßte Romilly nach ihrem Hals. Er wollte sie umbringen! Nicht für einen Augenblick, auch nicht angesichts der Ärmlichkeit hier, war sie auf den Gedanken gekommen, ihr Pferd und ihr Mantel, ganz zu schweigen von der Kupferbrosche, die ihn zusammenhielt, und dem Geld in ihrer kleinen Börse, würden sie in Lebensgefahr bringen. Am liebsten hätte sie sich lautlos umgedreht und wäre geflohen. Aber ohne Mantel und Pferd, ohne Essen würde sie in der bitteren Kälte schnell sterben! Ihre Finger umfaßten die Scheide des Dolchs an ihrem Gürtel. Wenigstens war sie kein ahnungsloses Opfer mehr; sie wollte ihr Leben so teuer wie möglich verkaufen.
Nur durfte sie sich nicht merken lassen, daß sie von ihren Plänen wußte, sondern mußte sich ahnungslos stellen, bis sie ihren Mantel und ihr Bündel hatte und zu ihrem Pferd laufen konnte. Leise kehrte sie in den Stall zurück, wo sie ihr Pferd sattelte und umdrehte, bereit zur Flucht. Nun mußte sie ihren Mantel holen, oder sie würde in den Bergen erfrieren. Die Hand unauffällig in der Nähe des Dolchgriffs, stand Romilly wieder vor der Tür. Sie gab sehr acht, kein Geräusch zu machen, als sie sie öffnete. Drinnen saß Rory auf der Bank und hantierte an seinen Stiefeln. Die alte Mhari hatte den Kopf auf das Kissen zurückgelegt und schlief – oder tat doch so. Bei Romillys Eintritt sagte Rory: »Willst du mir beim Ausziehen der Stiefel helfen, Junge?«
»Gern.« Romilly dachte schnell nach. Wenn er die Stiefel aus hatte, konnte er sie nicht allzu schnell verfolgen. Sie kniete sich vor ihn, faßte den Stiefel mit beiden Händen und zog ihn vom Fuß. Dann machte sie sich an den anderen. Sie zog gerade mit aller Kraft daran, als Rory sich vorbeugte. Sie sah das Messer in seiner Hand blitzen.
Romilly handelte, ohne nachzudenken. Sie stieß das Bein mit dem Stiefel heftig nach oben, so daß Rorys Knie gegen sein Kinn krachte. Die Bank kippte um und nahm Rory mit. Romilly sprang auf und rannte zur Tür. Im Vorbeilaufen schnappte sie sich ihren Mantel. Mit hämmerndem Herzen griff sie nach der Klinke. Rory fluchte und brüllte hinter ihr. Ein rascher Blick zurück zeigte ihr, daß sein Mund blutete. Der Aufprall hatte ihm entweder einen Zahn ausgeschlagen oder die Lippe aufgerissen. Schon war Romilly draußen und versuchte, die Tür mit der Schulter zuzuwerfen. Aber Rory zwängte sich hindurch, und dann war er über ihr. Sie sah das Messer nicht. Vielleicht war es ihm entfallen, vielleicht gedachte er nur seine riesigen Hände zu benutzen. Er packte sie, und ihre Jacke riß von oben bis unten auf. Seine Hände schlossen sich um ihre Kehle. Dann wurden seine Augen groß. Er sah den Riß und zerfetzte die Jacke ganz.
»Bei der Last! Titten wie eine Kuh! Ein Mädchen, he?« Er faßte Romillys Hand, die nach seinen Augen fuhr, und hielt sie unbeweglich fest. Dann drehte er sie um und schob sie in die kleine Küche zurück.
»Sieh mal, Oma, was ich gefunden habe! Eine
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