Herrin der Falken - 3
hatte… sie hatte gehört, daß Männer danach fest schliefen. Die alte Frau war bestimmt nicht fähig, sie zu verfolgen, aber sie konnte Rory aufwecken. Irgendwie, so oder so, mußte sie Rory daran hindern, ihr nachzujagen.
Andererseits hätte sie sich ihm dann ebensogut gleich am ersten Abend hingeben können. Es würgte sie vor Abscheu bei der Vorstellung, ein passives Opfer zu sein und sich ihm widerstandslos zu überlassen.
Vielleicht gelang es ihr, wenn sie sich auszogen, seine Stiefel und seine Lederhose zu verstecken, so daß er ihr nicht sofort folgen konnte. Nicht einmal er würde ihr barfuß und unbehost nachlaufen – ja, und zu Fuß, denn sie wollte sein Reit-Chervine losschneiden und in den Wald treiben. Bis er Stiefel und Hose gefunden und das Chervine eingefangen hatte, waren sie und ihr Pferd ein gutes Stück auf dem Weg nach Nevarsin. Aber dann würde sie sich ihm zuerst hingeben müssen…
Und dann dachte sie: Wenn wir uns ausgezogen haben, könnte ihn ein gutgezielter Stoß mit dem Knie in die Lenden lange genug lahmlegen. Sie mußte nur den Mut finden, heftig genug zuzustoßen, und ihr Ziel beim ersten Versuch treffen. Andernfalls würde er sie bestimmt halbtot schlagen und ihr nie wieder trauen. Ihr fiel ein, was ihre eigene Mutter sie gelehrt hatte, als sie und Ruyven noch ganz klein waren: Sie dürfe ihn nie dorthin schlagen oder treten, auch nicht im Spaß, denn ein verhältnismäßig leichter Schlag könne ernsten und vielleicht dauernden Schaden hervorrufen, wenn die Teile rissen, sogar den Tod herbeiführen. Und das brachte sie auf einen neuen Gedanken.
War sie bereit zu töten, um sich ihm nicht hingeben zu müssen?
Schließlich hatte er anfangs versucht, sie zu töten. Wenn sie wirklich ein Junge gewesen, oder wenn ihre Weiblichkeit nicht durch die zerrissene Jacke offenbar geworden wäre, hätte er ihr ihres Pferdes und ihres Mantels wegen die Kehle durchgeschnitten. Ja, als er entdeckte, daß sie eine Frau war, war er auf seine eigene Art freundlich zu ihr gewesen. Aber nur aus dem Grund, weil er lieber eine Sklavin als einen Leichnam haben wollte. Denn das war es doch, was ihr das Leben mit ihm bringen würde, Tag für Tag schwere Arbeit tun und die Launen der alten Frau ertragen. So holte er mehr aus ihr heraus, und das Pferd und den schönen Mantel bekam er obendrein! Nein, sie wollte keine Skrupel in sich aufkommen lassen. Am frühen Nachmittag – Romilly knetete lustlos Brotteig – trampelte Rory herein und warf den Kadaver eines Rabbithorns auf den Tisch.
»Ich habe es ausgeweidet und abgehäutet«, sagte er. »Brate ein Viertel für das Essen heute abend, ich habe zehn Tage lang kein Fleisch mehr geschmeckt. Morgen werden wir den Rest einsalzen. Häng es vorerst in den Stall, außer Reichweite des Ungeziefers.«
»Wie du wünschst, Rory«, antwortete Romilly. Innerlich triumphierte sie. Das Fleisch war am Abend bestimmt gefroren. Sie konnte davon einige Zeit leben, wenn es ihr gelang, es mitzunehmen. Der Vorsicht halber wollte sie es in die Nähe ihres eigenen Sattels hängen.
Bald füllte sich die Hütte mit Bratenduft. Romilly hatte Hunger, aber nachdem sie die alte Frau gefüttert, ihr das Kinn abgewischt und sie für die Nacht zurechtgemacht hatte, stellte sie fest, daß sie nicht kauen und schlucken konnte, ohne zu ersticken.
Ich muß bereit sein. Ich muß bereit sein. Es ist heute abend oder nie. Sie verweilte sich am Tisch, nippte nervös an einem Becher heißen Borkentees, bis Rory kam und von hinten seine Arme um sie schlang.
»Ich habe Feuer auf dem Herd im Hinterzimmer angezündet, damit wir nicht frieren. Komm, Calinda.« Romilly nahm an, daß die alte Frau ihm diesen Namen genannt hatte. Sie selbst hatte es gewiß nicht getan. Nun war der Augenblick da; er ließ sich nicht länger hinausschieben. Ihre Knie waren weich, und sie fragte sich, ob sie wirklich den Mut finden werde, ihr Vorhaben auszuführen.
Rory führte sie ins Hinterzimmer. Er schloß die Tür und verriegelte sie von innen. Nicht gut. Wenn sie überhaupt entfliehen wollte, brauchte sie freie Bahn nach draußen. »Mußt du die Tür verschließen?« fragte sie. »Oma – Dame Mhari wird unser Zimmer nicht im ungeeignetsten Augenblick betreten; sie kann ja kaum laufen.«
»Ich dachte, so wäre es privater.« Wieder grinste er. Romilly sagte: »Aber nimm einmal an…« Sie überlegte und fuhr fort: »Nimm einmal an, Dame Mhari braucht mich mitten in der Nacht und ich höre sie nicht? Laß die Tür
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