Herrin der Falken - 3
Dom Carlos Gedanken. Sie umkreisten das Lager und vergewisserten sich, daß alles gut stand mit Männern, Reittieren und Vögeln.
Dann schlief sie ein.
3.
Am frühen Morgen ging Romilly über die Lichtung, um Wasser für die Vögel zu holen. Einer der Männer mußte heute auf die Jagd gehen und ein Wild für die Kundschaftervögel zu fangen, denn es war kein Fleisch mehr da. Aber die Vögel sahen bereits besser aus, putzten ihr Gefieder und säuberten ihre Füße. Von hier aus konnte Romilly die Häuser von Nevarsin erkennen, weiß unter der Morgensonne, als seien sie aus Schnee oder Salz. Es war eine alte Stadt, an der Flanke des Berges erbaut, gleich an der Grenze des ewigen Eises. Darüber erhoben sich die aus dem Felsgestein gehauenen Mauern des Klosters, als stächen die Knochen des Bergs durch den Schnee. Einer der Männer – sie wußte seinen Namen nicht – holte Wasser für den Brei. Ein anderer teilte Korn für die Pferde und Chervines aus. Den Mann namens Alaric, einen schweren, finsteren Kerl in derber Kleidung, fürchtete Romilly am meisten. Doch sie konnte ihm nicht ständig aus dem Weg gehen, und auf jeden Fall mußte er ein bißchen Sympathie für die Kundschaftervögel haben, denn er hatte einen von ihnen auf seinem primitiven Sattelblock gehabt.
»Entschuldigt«, sagte Romilly höflich, »aber Ihr müßt gehen und ein Wild für die Kundschaftervögel fangen. Wenn es heute morgen getötet wird, beginnt es am Abend zu verwesen und ist dann gerade richtig für sie.«
»Oho!« legte der Mann los. »Also nach einer einzigen Nacht mit unserm guten Anführer hältst du dich für berechtigt, Männern Befehle zu erteilen, die dieses ganze hungrige Jahr lang mit ihm geritten sind? Wer von den beiden hat dich gehabt, oder haben sie sich bei dir abgewechselt, kleiner Lustknabe?«
Schockiert über diese rohe Beleidigung wich Romilly mit flammendem Gesicht zurück. »Ihr habt kein Recht, so etwas zu mir zu sagen! Dom Carlo hat mir die Vögel anvertraut und mich beauftragt, für ihre richtige Ernährung zu sorgen, und ich gehorche dem vai dom, wie Ihr selbst es auch tut!«
»Aye, das kann man wohl sagen!« höhnte der Mann. »Vielleicht möchtest du mit diesem hübschen Mädchengesicht und diesen damenhaften Händchen –« Der Rest war so unanständig, daß Romilly nicht verstand, was er meinte, und sie wollte es auch gar nicht verstehen. Wie hätte einer ihrer Brüder auf eine solche Gemeinheit reagiert? Das Messer konnte sie nicht ziehen, denn sie war nicht groß genug, es mit dem hünenhaften Alaric aufzunehmen. So würdevoll, wie sie es fertigbrachte, sagte sie: »Vielleicht werdet Ihr die Befehle ausführen, die der vai dom Euch persönlich gibt.« Damit ging sie. Sie biß die Zähne zusammen und verkrampfte ihr ganzes Gesicht, damit ihr die Tränen nicht aus den Augen liefen. Verdammt, verdammt soll er sein! Ich darf nicht weinen, ich darf nicht…
»Warum machst du denn ein Gesicht wie eine Gewitterwolke, mein Junge?« fragte Orain belustigt grinsend. »Tut dir was weh?«
Romilly raffte die Reste ihrer Selbstbeherrschung zusammen und sagte das erstbeste, was ihr in den Sinn kam. »Habt Ihr einen Handschuh übrig, den ich mir ausleihen kann, Onkel?« Sie benutzte die formlose Anrede für jeden Freund aus der Generation des eigenen Vaters. »Ich kann die Kundschaftervögel nicht auf die bloße Faust nehmen, obwohl es bei einem Falken geht. Ihre Krallen sind zu lang, und meine Hand blutet noch von gestern. Heute möchte ich sie an einer Leine fliegen und selbst Aas aufspüren lassen.«
»Einen Handschuh sollst du haben«, sagte Dom Carlo hinter ihnen. »Gib ihm deinen alten, Orain. Er mag schäbig sein, aber er wird seine Hand schützen. Im Gepäck sind Lederreste, du kannst dir heute abend einen nähen, der dir paßt. Aber warum willst du die Vögel fliegen lassen? Einer der Männer kann doch frisches Fleisch für sie fangen. Wir haben Jagdschlingen genug, und wir brauchen auch für uns Fleisch. Schick irgendeinen.« Er sah Romilly an, und seine rötlichen Augenbrauen wanderten in die Höhe.
»Oh, so ist das?« fragte er leise. »Wer von ihnen war es, Rumal?«
Romilly blickte zu Boden. Fast unhörbar flüsterte sie: »Ich möchte keinen Ärger machen, vai dom. Es ist vielleicht besser, wenn ich die Vögel auflasse, denn Bewegung müssen sie auf jeden Fall bekommen.«
»Das bestimmt«, erwiderte Carlo. »Also laß sie der Bewegung halber fliegen. Ich will jedoch nicht haben, daß man meinen Befehlen
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