Herrin der Falken
noch mehr.«
»Ich habe es auf Falkenhof gelernt«, sagte Romilly, und Janni hob warnend die Hand.
»Keine von uns hat außer ihrem Namen eine Familie oder eine Vergangenheit. Ich sagte dir doch, unter uns bist du nicht meine Dame oder Mistress MacAran.« Eingeschüchtert schwieg Romilly still.
Ganz gleich, wie ich mich nenne, ich bin Romilly MacAran von Falkenhof. Ich wollte mich meiner Abstammung nicht rühmen, ich wollte ihr nur mitteilen, wie ich zu meinen Kenntnissen gekommen bin – auf einem kleinen Bergbauernhof hätte ich sie kaum erwerben können! Aber wenn sie sich einbildet, ich hätte geprahlt, wird sie nichts, was ich sage, davon abbringen, und so soll sie denken, was sie möchte. Romilly kam sich alt und zynisch und welterfahren vor, weil sie zu solcher Weisheit gelangt war. Schweigend folgte sie Janni den Flur entlang und durch die große Doppeltür an seinem Ende. Auch sie muß aus gutem Hause sein, sie mag sich noch so sehr weigern, davon zu reden, denn sie hat mit Lyondri Hastur bei Kindergesellschaften getanzt. Vielleicht ist auch ihr verboten worden, ihre Vergangenheit zu erwähnen.
Es wurde ein langer und geschäftiger Tag. Romilly aß in der Küche Brot und Käse und Honig und wurde danach zu einer Übung im waffenlosen Kampf geschickt. In der Gruppe von jungen Mädchen waren alle geschickter als sie. Sie begriff nicht eine einzige der Bewegungen, die man ihr beibringen wollte, und kam sich linkisch und dumm vor. Später am Tag drückte ihr eine hartgesichtige Frau in den Sechzigern ein Holzschwert, wie sie und Ruyven es als Kinderspielzeug gehabt hatten, in die Hand und versuchte, sie die grundlegenden Paraden zu lehren, aber auch das war völlig hoffnungslos. Es waren so viele Frauen da – vielmehr kam es Romilly so vor. Am Eßtisch stellte sie fest, daß im Haus nur neunzehn lebten. Aber ihre Namen konnte sie sich trotzdem nicht merken. Man erlaubte ihr, sich mit den Pferden anzufreunden, deren Namen sich leichter behalten ließen. Ihr eigenes Pferd war inzwischen in den Stall gebracht worden, und sie sah auch ein paar Chervines. Dann durchstach Janni ihr die Ohren und legte ihr kleine goldene Ringe an. »Nur, bis die Löcher verheilt sind«, sagte sie. »Später bekommst du das Abzeichen der Schwesternschaft. Du mußt die Ringe ständig drehen, damit die Wunden sauber verheilen, und sie dreimal täglich mit heißem Wasser und Dornblatt baden.« Vor sämtlichen Frauen, die für Romillys müde Augen nur eine verwischte Reihe von Gesichtern waren, nahm Janni ihr den Eid der Schwesternschaft ab. Nun war es geschehen. Bis zum Frühlingstauwetter des nächsten Jahres gehörte Romilly der Schwesternschaft vom Schwert an. Man drängte sich um sie und stellte ihr Fragen. Romilly wußte nicht recht, was sie antworten sollte, da ihr Janni doch verboten hatte, von ihrer Vergangenheit zu reden. Schließlich suchte man für sie ein oft geflicktes, sehr abgetragenes Nachthemd heraus und schickte sie zum Schlafen in einen langen Saal mit sechs Betten in einer Reihe, besetzt von Mädchen ihres Alters und jüngeren. Sie meinte, gerade erst eingeschlafen zu sein, als sie vom Klang einer Glocke geweckt wurde. Inmitten eines halben Dutzends junger Frauen, die alle halb angezogen herumrannten und sich um die Waschbecken stritten, wusch sie sich das Gesicht und zog sich an.
In den ersten paar Tagen schien es Romilly, als keuche sie immerzu hinter einer Gruppe von Mädchen her, die ihr ein Stück voraus waren und die sie einholen mußte. Der Unterricht im waffenlosen Kampf ängstigte und verwirrte sie. Die Lehrerin war so barsch und hatte eine so zornige Stimme. Aber eines Nachmittags half Romilly in der Küche, wo sie sich mehr zu Hause fühlte, und die Frau – Merinna hieß sie – kam herein und bat um Tee, den Romilly ihr brachte. Merinna plauderte so freundschaftlich mit ihr, daß ihr der Gedanke kam, diese Barschheit beim Unterricht habe nur den Zweck, die Aufmerksamkeit der Schülerinnen voll auf die Übungen zu konzentrieren. Der Schwertkampf fiel Romilly leichter, denn sie hatte manchmal bei Ruyvens Fechtstunden zusehen dürfen, und auch mit ihm geübt. Als sie acht oder neun gewesen war, hatte es ihren Vater amüsiert, wie gut sie mit dem Schwert umgehen konnte. Später jedoch verbot er ihr sogar das Zusehen, und sie durfte ein Spielzeugschwert nicht einmal anfassen. Allmählich kehrte die Erinnerung an diese frühen Unterrichtsstunden zurück, und sie begann, sich zumindest mit dem Holzstab, den
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