Herrin der Finsternis Roman
Er arbeitete, um Kost und Logis für Fang und sich selbst zu verdienen. Dass ihn jemand beschuldigte, er würde von den Peltiers Almosen annehmen, war das Allerletzte, was er sich wünschte.
»Ich habe Nicolette versprochen, ich würde Cherise an der Bar ablösen.«
»Klar.« Rudy sog an seiner Zigarette und ordnete seine Karten. »Heute Abend kann Cherise es gar nicht erwarten. Sie hat Geburtstag, und Nick lädt sie ins Antoine's ein.«
Das hatte Vane vergessen. Aus irgendwelchen Gründen nahmen die Menschen ihre Geburtstage sehr wichtig. Wahrscheinlich, weil sie so wenige erlebten.
Er entschuldigte sich und ging zur Bar. Dabei kam er an Tischen vorbei, die Wren, ein seltener weißer Katagari-Leopard, gerade abräumte. Auf seiner Schulter saß der Affe Marvin, das einzige Tier im Sanctuary, das keine menschliche Gestalt annehmen konnte, und hielt sich an Wrens blondem Haar fest. Die beiden verband eine sonderbare Beziehung, so ähnlich wie Vane und Fang.
Wren war aus seinem Exil zu den Peltiers gekommen, er war ein Einzelgänger, der kaum mit jemandem außer Marvin sprach. Trotzdem lag etwas Tödliches in den Leopardenaugen, das den Leuten nahelegte, ihn in Ruhe zu lassen, falls sie ihr Leben liebten.
Als Vane vorbeischlenderte, blickte Wren auf. Aber er schwieg.
»He, Vane!«, rief Cherise Gautier. Bei seinem Anblick erhellte sich ihre Miene. Sie war eine bildschöne Blondine. Mit ihrem warmherzigen Lächeln bezauberte sie fast jeden. »Alles in Ordnung, Schätzchen? Du siehst müde aus.«
Für einen Menschen war sie sehr einfühlsam, das überraschte ihn immer wieder. Er hob die hintere Klappe der Theke hoch und ging zu ihr. »Schon gut, ich bin okay.«
Doch so fühlte er sich nicht. Irgendetwas fehlte ihm.
Vielleicht sollte er zu Bride zurückkehren. Idiotisch.
»Bist du sicher?«, fragte Cherise.
Er spürte ihre Besorgnis. Und das war ihm furchtbar unangenehm. Bisher hatte sich außer seinen Geschwistern niemand um ihn gekümmert. Was für ein seltsamer Mensch Cherise war …
Lässig warf sie das weiße Spültuch, mit dem sie die Theke abgewischt hatte, über ihre Schulter. »Mein Sohn ist in deinem Alter …«
Mit einiger Mühe bezwang er seinen Lachreiz. Nach menschlichen Maßstäben war Nick Gautier sechsundzwanzig – und Vane vierhundertsechzig. Aber wie alt er war, ahnte Cherise natürlich nicht. Ebenso wenig wusste sie, dass ihr Sohn für die Dark Hunter arbeitete, die unsterblichen Vampir-Töter.
»Ich weiß, was ihr Jungs euch zumutet. Pass besser auf dich auf, Schätzchen. Seit du von Mama engagiert wurdest, hattest du keinen einzigen Urlaubstag. Warum nimmst du dir heute Nacht nicht frei und verlustierst dich?«
»Nicht nötig«, erwiderte er und zog das Spültuch von ihrer Schulter. »Meinen Spaß hatte ich schon. Außerdem hat Nick erwähnt, dass du heute deinen Geburtstag feierst.«
Cherise verdrehte die Augen. »Für Geburtstage bin ich zu alt. Da sehe ich lieber, wie du dich amüsierst, solange du noch jung bist.«
»Klar.« Kyle Peltier, der jüngste Bär, kam mit einem großen Tablett voller sauberer Gläser aus der Küche. In Nicks Alter, hatte er gerade seine Pubertät überstanden, weil die Were Hunter erst mit zwanzig heranreiften. »Warum nutzt du die sechs Sekunden nicht, die von deinem Leben noch übrig sind?«
Vane winkte verächtlich ab. Dann schob er Cherise zu ihrer Handtasche. »Geh nach Hause.«
»Aber …«
»Geh!«, knurrte er. »Und genieß deinen Geburtstag.«
»Also gut.« Seufzend tätschelte sie seinen Arm. Dann holte sie ihre Tasche und einen Pullover unter der Theke hervor.
»Ich steche die Kontrolluhr für dich«, sagte Kyle und hob die Klappe, um sie hinauszulassen.
»Danke.«
Während Vane die Gläser vom Tablett in ein Regal räumte, ging Kyle zu Wren und half ihm, die Tische abzuwischen.
Nun schlenderte Colt Theodorakopolus zur Bar. Der Ursulines-Arkadier war so groß wie Vane, der diesen Were-Bären nicht mochte. Gewiss, allem Anschein nach gab es nichts an Colt auszusetzen. Vor seiner Geburt war sein Vater getötet worden. Da die Mutter gewusst hatte, sie würde sterben, sobald ihr Sohn auf der Welt war, hatte sie die Peltiers gebeten, ihn großzuziehen.
Soviel Vane wusste, kannte Colt keinen anderen Arkadier-Bären. Da er zu den Wachtposten gehörte, müsste eine Hälfte seines Gesichts die entsprechenden Merkmale aufweisen – sonderbare geometrische Zeichen, die als Geburtsmale erschienen, wenn ein Wächter seine Reife erreichte. Aber
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