Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
Spur ihrer Opfer aufgenommen hatten. Zumindest schienen die Pferde sie nicht zu wittern, was ihnen allen ein wenig Hoffnung machte.
    Die Luft hier unten war kalt und roch nach nassem Stein. Das Gebirge erbebte erneut, und diesmal wurden sie derart heftig durchgeschüttelt, dass Elegeabal ausrutschte und mit einem dumpfen Aufschrei hinschlug. Tiessa sprang vor und fing die Lampe auf, bevor sie verlöschen oder zerschellen konnte. Der Schimmel protestierte mit einem verängstigten Schnauben, als seine Herrin ihn losließ, blieb ansonsten aber ruhig. Das Mädchen half dem alten Mann beim Aufstehen und reichte ihm seinen Stab.
    »Danke«, murmelte er und nahm auch die Lampe wieder entgegen. »Nicht mehr weit.«
    Wenig später traten sie durch eine Öffnung, fast ein Tor, das hinaus auf eine natürliche Galerie führte. Jenseits der Felskante lag ein schwarzer Abgrund. Der Lampenschein verblasste blind im Nichts.
    »Was ist das hier?«, flüsterte Faun.
    Im Inneren der Felsen grummelte und knirschte es, als marschierten Riesen über ihre Gipfel.
    »Dies«, sagte der Traumdeuter weihevoll, »ist die Halle des großen Drachen. Von hier aus ist es nicht mehr weit … nicht sehr weit«, setzte er hinzu.
    Tiessa trat vorsichtig näher an den Abgrund, hielt sich mit rechts am Pferdezügel fest und blickte nach unten. »Wie tief ist das?«
    »Tief genug, um sich den Hals zu brechen«, entgegnete Elegeabal ungehalten. »Komm da weg!«
    Abermals regte sich der Berg, und diesmal prasselten winzige Steinchen auf sie herab wie Hagelschauer.
    »Schnell!«, kommandierte der Alte, und beide folgten ihm ohne Widerworte.
    Elegeabal führte sie nach links. Die Galerie, eigentlich nur ein unregelmäßiger Absatz, der an der Felswand entlanglief, war an ihrer breitesten Stelle vier oder fünf Schritt breit. Dann wieder verengte sie sich so sehr, dass Faun und Tiessa Sorge um die Pferde hatten. Die Tiere mussten spüren, wie groß die Gefahr war, denn sie liefen ungewöhnlich diszipliniert hinter den beiden her. Keines scheute oder weigerte sich, weiterzugehen.
    Der Lampenschein erhellte jetzt immer wieder Staubwolken, die von oben herabrieselten, wabernde Säulen in der Finsternis, begleitet von Prasseln, das beinahe wie Atmen klang. Faun sandte ein Stoßgebet hinauf in die Schwärze, dass es zu keinen stärkeren Beben kommen würde. Vor allem an den schmalen Stellen der Felsengalerie gab es keinen Halt, keinen Spielraum zwischen ihnen und der ungewissen Tiefe.
    »Die Halle ist eigentlich eine Art Schacht, breiter als der Burghof von Hoch Rialt«, erklärte Elegeabal, aber er sprach so leise, dass Faun Mühe hatte, ihn zu verstehen. »Der Drache liegt unten an seinem Boden. Wie hoch die Decke ist, weiß niemand. So weit reicht auch kein Fackelschein.«
    Die Wände verliefen in einer natürlichen Rundung. Wenig später verbreiterte sich die Galerie zu einer kleinen Plattform. Elegeabal musste Hilfe von Achards Männern gehabt haben, als er hier eine Schwindel erregende Konstruktion aus Balken und Seilen errichtet hatte, mit der ein Transportkorb in die Tiefe hinabgelassen werden konnte. Das becherförmige Geflecht war etwa halb so groß wie ein Ruderboot und bot bestenfalls Platz für zwei Menschen.
    Trotz der Staubfontänen und Steinsplitter verspürte Faun den widersinnigen Wunsch, einen Blick auf den Grund der Höhle zu werfen. Das Drachenjunge in der Werkstatt des Traumdeuters war gewaltig gewesen, und es fiel ihm schwer, sich die Gebeine einer Kreatur vorzustellen, die ungleich größer war.
    Die Galerie setzte sich jenseits der Plattform fort. Faun und Tiessa wollten so schnell wie möglich weiter. Der alte Mann aber blieb am Flaschenzug stehen und spähte in die Tiefe. Bedauern lag in seiner Stimme. »Wenn hier wirklich alles einstürzt, wird er da unten für immer begraben sein.«
    »Wenn hier wirklich alles einstürzt«, bemerkte Faun, »sind wir tot.«
    »Lauft weiter!« Elegeabal rührte sich nicht von der Stelle. »Noch etwa fünfzig Schritt, dann stoßt ihr in der Felswand auf einen Spalt. Er führt aufwärts. Ihm müsst ihr folgen.«
    Faun und Tiessa tauschten einen Blick. »Du kommst doch mit«, sagte Tiessa.
    Der Traumdeuter hielt ihr die Lampe entgegen. »Hier, nehmt sie. Ich bleibe.«
    Faun fuhr auf. »Hast du den Verstand verloren?«
    Ein kopfgroßer Steinbrocken zerschellte keine Mannslänge neben ihnen auf dem Weg. Die Pferde scheuten. Mehrere Herzschläge lang waren sie alle in Staub gehüllt. Aus der Tiefe erklang der

Weitere Kostenlose Bücher