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Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Lärm weiterer Aufschläge. Etwas zerbrach. Mit einem Mal wehte Gestank von dort unten empor. Schwefel – und etwas anderes. Eine schwere, betäubende Süße.
    Elegeabal hustete. »Der Berg wird den Drachen in Stücke schlagen. Ich bleibe bei ihm.«
    »Nein«, sagte Tiessa entscheiden, »tust du nicht! Wir lassen dich nicht hier!«
    Faun wusste, dass sie im Zweifelsfall gar keine andere Wahl hatten. Vor allem aber blieb keine Zeit für Diskussionen. Er nackte Elegeabal am Arm und zerrte ihn mit sich. Tiessa nahm dem Alten die Lampe ab und ging voraus.
    »Lass mich los!«, fauchte Elegeabal. »Ich weiß genau, was ich tue.«
    »Sicher.« Faun zog den Traumdeuter einfach mit sich, was noch schwieriger wurde, als sich die Galerie erneut verengte.
    Elegeabal protestierte, die Pferde tänzelten ängstlich, und Faun hatte alle Mühe, nicht mitsamt seiner Stute und dem Alten über die Kante zu stürzen. Der Gestank raubte ihnen den Atem und benebelte ihre Sinne. Sie brüllten durcheinander, als ein neuerliches Grollen den Berg erschütterte.
    Es übertraf die Beben davor um ein Vielfaches. Überall um sie herum stürzten Felsbrocken in die Tiefe. Einer streifte den Rand der Galerie und schlug eine tiefe Kerbe hinein, groß genug, um einen erwachsenen Mann zu verschlingen. Unter ihren Füßen bäumte sich der Boden auf. Wie Wellen rasten die Erschütterungen unter ihnen dahin und drohten sie in den Abgrund zu schleudern. Die Pferde schrien in Panik. Fauns Stute zerrte an den Zügeln und machte einen Satz nach vorn, der ihn fast zwischen den Pferden zerquetscht hätte. Er musste Elegeabal loslassen, während er um sein Gleichgewicht und die Kontrolle über das Pferd kämpfte. Staub drang in seine Lunge, er bekam keine Luft mehr, warf sich blind nach links, auf die Wand zu, weil er hoffte, dort irgendwie Halt zu finden. Tiessa rief seinen Namen, vielleicht auch nur einen Schmerzenslaut, und dann war Elegeabal plötzlich fort, und neben ihnen klaffte eine Öffnung in der Wand.
    »Hier entlang!«, brüllte Tiessa gegen den Lärm der stürzenden Felstrümmer an. Gleich darauf war sie hinter einer Wolke verschwunden. Eine Kaskade aus Schutt ging zwischen ihnen nieder und hätte das Loch im Fels fast verschüttet. Tiessas Husten war zu hören, dann konnte Faun sie wieder sehen.
    »Elegeabal!«, schrie er nach hinten, doch der Alte gab keine Antwort.
    Tiessa stieß einen spitzen Schrei aus, dann rasselten weitere Steine an ihnen vorüber. Die Öllampe wurde ihr aus der Hand geprellt und verschwand in der Tiefe. Bestürzt blickte Faun ihr hinterher, aber die Dämpfe verklebten zäh sein Empfinden, sogar seine Panik. Benommen trat er an die Kante und versuchte etwas dort unten zu erkennen. Das Licht fiel und fiel, schlug auf und explodierte in einer Blüte aus Feuerschein, als brennendes Öl in alle Richtungen spritzte. Zwei, drei Herzschläge lang erkannte er bizarre Formen, die aus dem Felsboden ragten, mächtige Bögen, so hoch wie ein Haus, verwinkelt wie die Überreste eines niedergebrannten Waldes, und etwas, das Stämme sein mochten – oder Knochen so groß wie Stämme.
    Dann wurde das Feuer vom Staub und weiteren Gesteinstrümmern gelöscht, und von einem Augenblick zum nächsten war die Finsternis vollkommen.
    »Faun!« Tiessas Stimme überschlug sich, durchmischt von Hufklappern und hysterischem Schnauben. »Hier geht es nach oben. Die Pferde führen uns.«
    Die Stute war kaum noch zu bändigen und drängte von sich aus in den Felsspalt. Faun ließ sich von ihr am Zügel mitziehen, schaute aber noch einmal über die Schulter. »Elegeabal!«, brüllte er. Erst kam keine Antwort, dann ein entferntes »Lauft!«. Die Stimme des Alten wurde erneut von Steinprasseln und einem Grollen tief im Fels übertönt. »Beeilt –«
    Eine Schuttlawine ging hinter Faun nieder und schnitt dem Traumdeuter das Wort ab. Ob die Steine ihn getroffen oder verfehlt hatten – Faun vermochte es nicht zu sagen. Verzweifelt ließ er sich an den Zügeln mit in den Felsspalt ziehen, prellte sich die Schulter, scharrte an kantigem Stein vorüber und hatte alle Mühe, nicht unter die Hufe der Stute zu geraten. Tiessa und ihr Schimmel mussten irgendwo vor ihm sein, nicht weit entfernt, denn er hörte Geklapper und hin und wieder auch Tiessa selbst, die ihm über das Toben des Berges hinweg etwas zubrüllte, das er nicht verstehen konnte.
    Blindlings stolperte er neben seinem Pferd durch die Finsternis. Ein paar Mal stieß er sich Arm und Schulter, wenn

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