Herrin der Lüge
einiges für sich. Und seit Violante die Wahrheit über Gahmuret erfahren hatte – falls es die Wahrheit war –, kam sie Saga noch ungeduldiger vor. Niemand außer ihnen beiden wusste von dem, was der Johanniter der Gräfin offenbart hatte, und Saga trug mit jedem Tag schwerer an diesem Wissen. Mehrfach war sie kurz davor gewesen, zumindest Karmesin in alles einzuweihen.
»Wir können den Mädchen nicht vorgaukeln, wir würden Nahrung an Bord nehmen«, sagte Violante, »und dann nichts verteilen außer getrockneten Fleischkrusten und verschimmeltem Brot. Sie werden glauben, wir leben an Bord der Santa Magdalena im Überfluss, während alle anderen hungern und dursten müssen.« Kopfschüttelnd stieß sie den Atem aus. »Nein, wir lassen Kreta südlich von uns und behalten unseren Kurs Richtung Rhodos bei. In spätestens einer Woche sollten wir dort sein. Nicht wahr, Kapitän?«
»Wenn wir diese eine Woche durchhalten, ohne dass es zur Rebellion kommt – ja, dann vielleicht. Aber die Ägäis ist kein leichtes Gewässer für eine Flotte von siebzehn Galeeren. Es gibt hier Stürme und andere Umstände, die es uns nicht gerade leicht machen werden, die Ordnung an Bord aufrechtzuerhalten.«
»Von was für Umständen sprecht Ihr?«
»Piraten. Sklavenjäger. Vielleicht sogar Kriegsschiffe der Sarazenen.«
Violante winkte ab, was nicht nur Saga unvernünftig erschien. »Berengaria, welcher Art genau sind diese Zweifel, die auf den Schiffen laut werden?«
»Die Mädchen fragen sich, warum die Magdalena nicht mehr zu ihnen spricht.« Sie sah zu Saga herüber; ihr vernarbtes Gesicht zeigte dabei keine Regung. »Manche behaupten, die Magdalena könne Gottes Wort nicht mehr hören. Dass sie sich deshalb vor ihnen verstecke.«
»Das ist infam!«, ereiferte sich Violante, aber niemand achtete auf sie. Alle blickten nur Saga an, sogar Karmesin wirkte erwartungsvoll.
Saga hatte das Gefühl, etwas sagen zu müssen. Irgendetwas. Sie hasste es, wenn andere Erwartungen in sie setzten. Ihr Vater hatte immer nur verlangt und gefordert, aber das hier war noch schlimmer. Das Schweigen der anderen war furchtbarer als jeder Befehl.
»Soll ich von Schiff zu Schiff übersetzen?«, fragte sie. »Jeden Tag auf einer anderen Galeere verbringen? Ist es das, was sie wollen?«
»Möglicherweise wäre das ein Anfang«, sagte Berengaria.
»Kommt nicht in Frage!« Violante sprang wieder auf. »Das wäre viel zu gefährlich. Die Magdalena ist zu wichtig, als dass wir sie den Unruhen an Bord anderer Schiffe aussetzen könnten.«
»Es würde helfen, diese Unruhen gar nicht erst hochkochen zu lassen«, bemerkte der Kapitän.
Saga nickte. »Wenn es das ist, was von mir erwartet wird, werde ich es tun.«
»Nein!« Violante schüttelte energisch den Kopf. »Die Magdalena bleibt an Bord des Flaggschiffs. Hier zumindest ist die Lage unter Kontrolle.«
Saga wollte protestieren, aber Violante bekam Unterstützung von unerwarteter Seite.
»Die Gräfin hat Recht«, sagte Karmesin und trat vor. »Die Gefahr, dass der Magdalena etwas zustößt, können wir nicht eingehen. Wie es im Augenblick aussieht, ist sie das Einzige, was die Flotte zusammenhält.«
»Meine Kriegerinnen –«, begann Berengaria erbost, wurde aber von Karmesin unterbrochen.
»Weder Waffengewalt noch die Autorität der Kapitäne wird fünftausend hungrige und durstige Mäuler zum Schweigen bringen«, sagte die Konkubine. »Ich weiß nicht, wie sicher Ihr, Kapitän Angelotti, Euch Eurer Männer seid. Aber wenn es unter den Mädchen zu einem Aufstand kommt, werden Eure Ruderer nicht tatenlos dasitzen. Und selbst wenn sie sich nicht mit den Frauen verbünden, sondern sich unter Eurem Befehl gegen sie wenden – würde dann nicht alles noch viel schlimmer? Fünftausend Frauen, die seit Wochen an Schwert und Lanze ausgebildet werden gegen dreieinhalbtausend Seeleute … wie viele werden da wohl auf beiden Seiten übrig bleiben? Ganz zu schweigen, was im Falle einer Niederlage der Mädchen geschähe. Niemand wird die Männer dann noch kontrollieren können, auch Ihr nicht, Angelotti!«
Betroffenes Schweigen senkte sich über die Gruppe. Weder Berengaria noch Angelotti konnten Karmesin aus ehrlicher Überzeugung widersprechen. Die ewig blasse Jorinde, deren Haut sich selbst unter der griechischen Sonne nicht bräunte, war jetzt so weiß wie ihr Kleid.
»Heißt das«, brach Saga schließlich die Stille, »wir können nur abwarten, was geschieht?«
»Und das Beste hoffen«,
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