Herrin Der Stürme - 2
nicht nach unten schaute. Sein gesamtes Bewußtsein wurde von der feinen Balancearbeit in Anspruch genommen, vom Druck der Luft und den Energieströmen, die er verschwommen überall um sich fühlen konnte. Irgendwie ließ ihn das an seine Tage in Nevarsin denken, als er zum ersten Mal sein Laran gemeistert und gelernt hatte, menschliche Wesen als Wirbel und Energienetze fließender Ströme zu sehen. Und jetzt spürte er, daß die substanzlose Luft mit den gleichen Energieströmen erfüllt war. Wenn ich Donal viel beigebracht habe, hat er mir als Gegenleistung nicht weniger gegeben, indem er mich die Kontrolle der Luftströmungen und der Energieströme lehrte, die Luft, Land und Wasser durchdringen … Allart hatte diese Luftströmungen vorher nie wahrgenommen; jetzt konnte er sie beinahe sehen, unter ihnen wählen, und auf ihnen reiten, bis zu einer Höhe hinauf, in der die Winde gegen den zerbrechlichen Gleiter knallten, konnte einen wilden Luftstrom entlangjagen, sich einen passenden Strom aussuchen, um wieder hinabzutauchen. Im Gurtzeug liegend und nur einen Bruchteil seines Bewußtseins darauf verwendend, den Gleiter zu kontrollieren, schaute er auf das Bergpanorama hinab.
Unter ihm erstreckte sich eine ruhige Berglandschaft. Hügel um Hügel war von dunklem Wald bedeckt. Hier und da machte er schräg plazierten Baumreihen Platz, die geradlinig über einen Hügel hinwegwuchsen – Nußfarmen oder Pilzplantagen, die inmitten des Waldes lagen. Wo Herden grasten, hatte man den Wald abgeholzt, um Wiesen zu schaffen. Sie waren mit kleinen Hütten übersät, in denen die Hüter lebten, und ab und zu entdeckte er am Lauf eines dahinrasenden Bergstromes ein Wasserrad, mit dessen Kraft man Käse herstellte, oder die Fasern, die – dank der Matrix-Verstärker – aus der Milch gewonnen wurden, nachdem Molke und Quark aus ihr herausgepreßt worden waren. Allart schnupperte den merkwürdigen Geruch einer Filzmühle und den einer anderen, in der Abfall aus der Holzverarbeitung zu Papier gepreßt wurde. Auf einem felsigen Hügel sah er den Eingang eines Höhlensystems, in dem das Schmiedevolk lebte, und den Schein ihrer Feuer, deren fliegende Funken keine Wälder oder bevölkerte Gebiete gefährden konnten. Während sie weiterflogen, wurden die Hügel höher und öder. Allart fühlte, wie Donal seine Gedanken berührte. Der Junge war dabei, sich zu einem kunstfertigen Telepathien zu entwickeln, der Aufmerksamkeit erregen konnte, ohne einen zu beunruhigen. Allart folgte ihm an einem langen Luftstrom entlang hinunter zwischen zwei Hügel, wo die weiße Säule des Tramontana-Turms im Licht der Mittagssonne funkelte. Ein Wächter auf der Turmspitze hob die Hand zum Gruß. Als Donal hinabjagte, die Flügel seines Gleiters zusammenfaltete, auf den Füßen landete, federnd in die Knie sank, sich mit der gleichen Bewegung aufrichtete und die Schwingen wie einen langen Schweif abstreifte, folgte Allart ihm.
Er selbst schien für dieses Spiel allerdings weniger Geschicklichkeit zu besitzen und wurde in einem Wirrwarr aus Gurten und Leinen zu Boden geworfen. Lachend kam Donal auf ihn zu.
»Macht nichts, Cousin. Ich bin selbst viele Male so gelandet«, sagte er, und Allart fragte sich, wie viele Jahre vergangen sein mochten, seit das zum letzten Mal geschehen war. »Komm, Arzi wird deinen Gleiter nehmen und ihn bis zu unserer Rückkehr sicher aufbewahren«, fügte Donal hinzu und wies auf den alten, gebeugten Mann, der neben ihm stand. »Master Donal«, sagte der alte Mann in einem so breiten Dialekt, daß selbst Allart, der die meisten Hellers-Dialekte kannte, Schwierigkeiten hatte, ihm zu folgen, »es ist mir wie immer eine Freude, Euch bei uns begrüßen zu dürfen. Ihr erweist uns eine Ehre, Dom’yn«, setzte er hinzu und schloß Allart in seine ungelenke Verbeugung ein.
Donal sagte: »Das ist mein alter Freund Arzi, der dem Turm schon diente, ehe ich geboren wurde, und mich hier drei- oder viermal im Jahr begrüßte, seit ich zehn Jahre alt wurde. Arzi – mein Cousin, Dom Allart Hastur von Elhalyn.«
» Vai Dom.« Arzis Verbeugung wirkte – tief und ehrerbietig wie sie war – beinahe komisch. »Lord Hastur erweist uns eine Ehre. Ah, das ist ein glücklicher Tag – die Vai Lernyn werden wirklich glücklich sein, Euch begrüßen zu können, Lord Hastur.«
»Nicht Lord Hastur«, sagte Allart freundlich, »nur Lord Allart, mein guter Mann, aber ich danke dir für die Begrüßung.«
»Ah, es ist viele, viele Jahre her, seit ein
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