Herrin Der Stürme - 2
Nun, sobald sie Aldaran erreichten, würden Margali und Renata sie pflegen. Jetzt gab es nichts, was sie tun konnten. In dem trüben Licht hielt Allart ihre schmale, sechsfingrige Hand und betastete die knotige Narbe der Haftfeuer-Brandwunde. Cassandra hatte vor diesem Geschehen hier Krieg, Angst und Schmerzen ausgehalten, und er hatte sie nicht aus einem friedvollen Leben heraus in Gefahr gebracht. Wenn er auch nur eine Gefahr durch eine andere ersetzt hatte, wußte er doch, daß es sich um jene handelte, die sie einer anderen vorzog – und das war alles, was ein menschliches Wesen in diesen Tagen verlangen konnte. Ein wenig beruhigt zog er sich eine Zeitlang zurück, um in ihren Armen zu schlafen.
Als Allart wach wurde, war ein Schrei Cassandras zu hören. »Seht! Der Sturm hat sich aufgeklärt!« Benommen blickte er zum Himmel empor. Es hatte völlig zu schneien aufgehört, die Wolken zogen in wildem Tempo am Himmel entlang.
»Dorilys!« sagte Donal. »Kein Sturm hat diese Hügel je in solchem Tempo überquert.« Er nahm einen langen, zitternden Atemzug. »Ihre Kraft, die Kraft, die wir alle so sehr gefürchtet haben, hat uns das Leben gerettet.«
Allart sandte sein Laran in der Umgebung aus. Er stellte fest, daß die Eskorte das Unwetter auf der anderen Seite der Felsnase überstanden hatte. Jetzt würde Hilfe kommen und sie mit Nahrung, Schutz und Pflege versorgen. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis die Männer ihre Reittiere um die Felskante dirigierten.
Nicht allein Dorilys’ Laran war für ihre Rettung verantwortlich, überlegte er nüchtern. Seine eigene Gabe, die er für einen Fluch gehalten hatte, hatte nun auch ihren Wert bewiesen – und ihre Grenzen. Ich kann es nicht ignorieren. Aber ich darf mich auch nicht völlig auf sie verlassen. Aber ich brauche mich nicht mehr entsetzt vor ihr zu verbergen, wie während der Jahre in Nevarsin. Ich darf nur nicht zulassen, daß sie meine Handlungen beherrscht.
Vielleicht fange ich an, ihre Grenzen zu erkennen, dachte Allart. Plötzlich fiel ihm auf, daß er Donal als sehr jung, beinahe kindlich eingeschätzt hatte. Ihm wurde plötzlich bewußt, daß er selbst nur zwei Jahre älter war. Mit einer völlig neuen Demut, die zum ersten Mal in seinem Leben frei von Selbstmitleid war, dachte er: Ich bin selbst noch sehr jung. Und vielleicht ist mir nicht genug Zeit gegeben, Weisheit zu erlernen. Aber wenn ich weiterlebe, finde ich vielleicht heraus, daß einige meiner Probleme nur daherrührten, daß ich zu jung war – und zu dumm, um es zu wissen.
Vor Schmerz und Erschöpfung blaß, lag Cassandra auf seinem Umhang. Er wandte sich ihr zu und war gerührt, daß sie versuchte, zu lächeln und tapfer zu wirken. Jetzt konnte er sie aufrichtig beruhigen und trösten, ohne seine Angst zu verbergen. Hilfe war unterwegs und würde sie bald erreichen. Sie mußten nur noch ein wenig warten.
23
Donal Delleray, genannt Rockraven, und Dorilys, Erbin von Aldaran, wurden in der Mittwinternacht formell durch die Catenas verheiratet. Es war keine besonders fröhliche Feier. Wie so oft in den Hellers verhinderte das Wetter, daß über Aldarans nächste Nachbarn hinaus jemand eingeladen werden konnte. Und von den Eingeladenen entschieden sich viele, nicht zu kommen. Aldaran sah darin – berechtigt oder unberechtigt – ein Zeichen, daß sie sich entschlossen hatten, mit seinem Bruder Scathfell ein Bündnis einzugehen. So fand die Vermählung in der Gegenwart des unmittelbaren Haushalts allein statt, aber selbst unter diesen Gästen gab es Getuschel.
Die Heirat von Halbbruder und Halbschwester war in den frühen Tagen des Fortpflanzungsprogramms alltäglich gewesen, vor allem in den großen Adelshäusern der Reiche. Wie alle derartigen Sitten, war auch diese von den untergeordneten Häusern nachgeahmt worden. Jetzt war sie ungebräuchlich geworden und wurde als ein wenig anstößig betrachtet.
»Sie haben es nicht gern«, sagte Allart zu Cassandra, als sie die große Halle betraten. Dort würde das Festmahl, die Zeremonie und anschließend der Tanz für den Haushalt stattfinden. Cassandra stützte sich schwer auf seinen Arm, immer noch zog sie ein Bein nach: Ein Andenken an ihr gefährliches Erlebnis, trotz der besten Pflege, die Margali und Renata ihr geben konnten. Es würde wohl mit der Zeit heilen, aber es war noch schwierig für sie, ohne Hilfe zu gehen. »Sie haben es nicht gern«, wiederholte er. »Hätte jemand anders als Dom Mikhail den Befehl dazu gegeben, hätten sie
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