Herrin Der Stürme - 2
wieder in den Schoß, legte Dorilys’ Finger auf die Saiten und sagte: »Sieh nur. Wenn du sie so hältst, kannst du den Akkord vielleicht spielen, auch wenn du nur fünf Finger hast.«
Während die Tage vergingen, erwachte Allart immer wieder mit dem Bewußtsein, daß Aldaran unter Belagerung stand. Dann wurde ihm jedesmal bewußt, daß die Wirklichkeit noch nicht eingetreten war und er es nur seiner Vorausschau verdankte, daß sich das Unvermeidliche sichtbar vor ihm ausbreitete. Daß es so kommen würde, wußte er mit absoluter Gewißheit.
»Jetzt«, sagte Donal eines Morgens, »müßten die Stürme in den Tiefländern abgeklungen sein. Aber ich weiß nicht, wie das Wetter in Scathfell oder Sain Scarp aussieht, ob ihre Armeen marschieren können. Ich werde auf den Wachtturm steigen und Ausschau halten, ob es auf den Straßen irgend welche verdächtige Bewegungen gibt.«
»Nimm Dorilys mit«, empfahl Allart. »Sie kann das Wetter noch besser analysieren als du.«
Donal zögerte und sagte dann: »Mir widerstrebt es, Dorilys zu begegnen. Vor allem jetzt, wo sie meine Gedanken lesen kann. Ich bin alles andere als glücklich darüber, daß sie zur Telepathin geworden ist.« »Aber wenn Dorilys fühlt, daß sie dir irgendwie nützlich sein kann, daß du ihr nicht gänzlich aus dem Weg gehst …« meinte Allart.
Donal seufzte. »Du hast Recht, Cousin. Ich kann ohnehin nicht immer an ihr vorbeisehen.« Er schickte einen Diener zu ihr und dachte: Würde es denn gar so schlecht sein, wenn ich Dorilys gebe, was mein Vater von mir verlangt? Vielleicht wird sie mir Renata nicht mehr mißgönnen, wenn sie bekommt, was sie will. Wir würden uns dann nicht mehr so anstrengen müssen, es vor ihr zu verbergen …
Dorilys sah wie der Frühling selbst aus: Sie trug eine mit Frühlingsblättern bestickte Tunika, ihr leuchtendes Haar war im Nacken geflochten und wurde von einer Schmetterlings-Spange gehalten. Allart konnte in Donals Geist das Mißverhältnis zwischen seinen Erinnerungen an das Kind und dem Anblick der hochgewachsenen, anmutigen jungen Frau sehen, die sie jetzt darstellte.
»Jetzt sehe ich, daß ich dich meine Lady nennen muß, Dorilys«, sagte er heiter und im Versuch, zu scherzen. »Es scheint, daß mein kleines Mädchen für immer gegangen ist. Ich benötige deine Begabung, Carya«, fügte er hinzu und erklärte, was er von ihr wollte.
Auf der höchsten Spitze von Schloß Aldaran ragte der Wachtturm ein oder zwei weitere Stockwerke empor. Eine erstaunliche Leistung der Ingenieurkunst, die Allart sich kaum erklären konnte. Sie mußte in Matrixarbeit mit einem großen Kreis geschaffen worden sein. Der hohe Turm beherrschte das ganze Umland in weiter Entfernung. Während sie ihn bestiegen, zeigte ihnen der Ausblick durch die Fensterschlitze, daß er ganz in Nebel und Wolken eingehüllt war. Aber als sie den höchsten Raum betraten, wurden sie bereits lichter und bewegten sich fort. Donal sah Dorilys erfreut und überrascht an. Sie lächelte und wirkte beinahe selbstzufrieden.
»Solchen Nebel zu vertreiben – ich glaube, selbst als Baby hätte ich das gekonnt«, sagte sie. »Und jetzt ist es gar nichts. Es erfordert nur einen ganz leichten Gedanken, wenn man ungehindert sehen will. Ich erinnere mich, Donal, daß du mich einst, als ich noch klein war, hierher brachtest und mich durch Vaters Ferngläser sehen ließest.«
Allart konnte die unter ihnen liegenden Straßen erkennen. Er machte Bewegungen aus. Im Bewußtsein, sich die Bewegungen nur einzubilden, zwinkerte Allart mit den Augen und schüttelte den Kopf. Er versuchte Gegenwart und Zukunft zu trennen. Es stimmte! Armeen bewegten sich auf der Straße, auch wenn sie noch nicht vor Aldarans Toren standen. »Wir brauchen keine Angst zu haben«, sagte Donal und versuchte, Dorilys zu beruhigen. »Aldaran ist noch nie von Truppen eingenommen worden. Wir können diese Festung ewig halten, wenn wir genug Nahrung haben. Aber innerhalb einer Dekade werden sie vor unseren Toren stehen. Ich nehme mir einen Gleiter und versuche herauszufinden, aus welcher Richtung sie kommen. Vielleicht erfahre ich auch, wie viele Männer sie gegen uns in Marsch gesetzt haben.«
»Nein«, sagte Allart. »Wenn ich mir herausnehmen darf, dir einen Rat zu geben, Cousin: Du wirst nicht fliegen. Jetzt, da du den Oberbefehl hast, ist dein Platz hier, damit jeder Vasall, der sich mit dir beraten muß, dich sofort finden kann. Du kannst dein Leben nicht für eine Aufgabe aufs Spiel setzen, die jeder
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