Herrin Der Stürme - 2
ohne die Berggipfel leben. Es muß so trübselig und langweilig dort sein.«
Cassandra lächelte. »Nein, Liebes, es ist sehr schön. Manchmal fühle ich, wie die Berge mich so einschließen, daß ich kaum atmen kann – als wären ihre Gipfel die Gitterstangen eines Käfigs.«
»Wirklich? Wie seltsam! Cassandra, ich kann den Akkord am Schluß der Ballade nicht so wie du spielen.«
Cassandra nahm die Rryl aus Dorilys’ Hand und machte ihr es vor. »Aber du kannst sie nicht so anschlagen wie ich. Du mußt Elisa bitten, es dir zu zeigen«, sagte Cassandra und spreizte ihre Hand. Mit großen Augen starrte das Mädchen sie an.
»Oh, du hast sechs Finger! Kein Wunder, daß ich nicht so wie du spielen kann! Ich habe gehört, das sei ein Zeichen für Chieri-Blut, aber du bist keine Emmasca, wie es die Chieri sind, nicht wahr, Cousine?« »Nein«, erwiderte Cassandra lächelnd.
»Ich habe gehört… Vater hat mir erzählt, daß der König in den Tiefländern Emmasca ist, und daß sie ihn deshalb im Sommer vom Thron holen. Wie schrecklich für ihn. Hast du ihn einmal gesehen? Wie ist er?«
»Er war noch ein junger Prinz, als ich ihn zum letzten Mal sah«, antwortete Cassandra. »Er ist sehr still und hat ein trauriges Gesicht. Ich glaube, er hätte einen guten König abgegeben, wenn sie ihn hätten regieren lassen.«
Dorilys beugte sich über das Instrument und schlug den Akkord, der ihr Schwierigkeiten bereitete, versuchsweise immer wieder an. Schließlich gab sie es auf. »Ich wünschte, ich hätte auch sechs Finger«, sagte sie. »Ich kann so nicht richtig spielen! Ich frage mich, ob meine Kinder meine musikalische Begabung erben werden oder nur mein Laran.« »Du bist sicher noch zu jung, um schon an Kinder zu denken«, sagte Cassandra lächelnd.
»In wenigen Monden werde ich gebärfähig sein. Du weißt, daß ein Sohn mit Aldaran-Blut dringend gebraucht wird.« Sie sprach so ernsthaft, daß Cassandra ein großes Bedauern in sich fühlte.
Das machen sie mit allen Frauen unserer Kaste! Dorilys hat kaum die Puppen weggelegt, und schon denkt sie an nichts anderes, als an ihre Pflicht gegenüber dem Clan! Nach einer langen Pause sagte sie zögernd: »Vielleicht … Dorilys, vielleicht solltest du wegen deines Laran keine Kinder haben.«
»Wie ein Sohn unseres Hauses sein Leben im Krieg riskieren muß, muß die Tochter alles wagen, um ihrer Kaste Kinder zu geben.« Sie rezitierte den Spruch sachlich und entschieden. Cassandra seufzte.
»Ich weiß, Chiya. Seit ich ein Kind war, habe ich das jeden Tag gehört. Wer Dogmen anzweifelt, gilt als Ketzer, und so glaubte ich es ebenso wie jetzt du. Aber ich finde, du bist alt genug, das selbst zu entscheiden.«
»Ich bin alt genug, das zu entscheiden«, sagte Dorilys. »Du hast dieses Problem nicht, Cousine. Dein Ehemann ist nicht Erbe eines Reiches.« »Hast du das nicht gewußt?« fragte Cassandra. »Allarts ältester Bruder wird König werden, wenn man den Emmasca in Hali entthront hat. Dieser Bruder hat keine legitimen Söhne.«
Dorilys starrte sie an. »Du könntest Königin werden«, sagte sie mit ehrfürchtigem Blick. Offenbar wußte sie gar nichts über Allarts Familie. Er war nur der Freund ihres Bruders. »Dann braucht auch Dom Allart dringend einen Erben, und du bist noch nicht schwanger.« In ihrem Blick lag die Andeutung eines Vorwurfs.
Zögernd berichtete Cassandra von ihrer gemeinsam getroffenen Entscheidung.
»Renata hat gesagt, ich solle keine Töchter zur Welt bringen«, sagte Dorilys. »Ich könnte sterben, wie meine Mutter, als sie mich zur Welt brachte. Aber ich bin nicht sicher, ob ich Renata noch trauen kann. Sie liebt Donal, und will nicht, daß ich Kinder bekomme.«
»Wenn das stimmt«, sagte Cassandra sehr behutsam, »dann nur deshalb, weil sie sich Sorgen um dich macht, Chiya.«
»Nun, in jedem Fall sollte ich zuerst einen Sohn haben«, sagte Dorilys, »und dann werde ich entscheiden. Vielleicht vergißt Donal Renata, wenn ich ihm einen Sohn schenke. Denn dann bin ich die Mutter seines Erben.« Ihre jugendliche Arroganz war so groß, daß Cassandra sich erneut Sorgen machte. Zweifel befielen sie.
Konnte sie ihre Bindung zu Allart dadurch festigen, daß sie ihm den Sohn gab, den er haben mußte, damit man ihm nicht – wie Prinz Felix – den Thron streitig machte? Sie hatten seit einiger Zeit nicht mehr ernsthaft darüber gesprochen.
Ich würde alles geben, um meiner selbst so sicher zu sein wie Dorilys! Entschlossen wechselte sie das Thema, nahm die Rryl
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