Herrin Der Stürme - 2
ein Kind zu sein. Renata rief sich in Erinnerung, wie schnell sie selbst während des ersten Jahres im Turm erwachsen geworden war. Sie wußte, daß Dorilys einen ähnlichen Sprung in die Entwicklung zur Frau getan hatte und dankte innerlich den Göttern dafür.
Wenn sie sich stabilisiert hat und wir ihre kindlichen Ausbrüche nicht mehr fürchten müssen; wenn sie allmählich die Urteilskraft und Fertigkeit, ihrer Macht gewachsen zu sein, entwickelt – vielleicht wird dann alles bald vorüber sein, und Donal und mir winkt die Freiheit… In einem aufwallenden Gefühl von Zuneigung zog sie das Mädchen an sich und küßte es. »Ich bin stolz auf dich, Carya mea«, sagte sie. »Du hast dich wie eine Frau verhalten. Ruh dich jetzt aus und iß tüchtig, damit du deine Kraft nicht verlierst, wenn wir dich wieder brauchen.« Dorilys glühte geradezu.
»So trage ich, wie Donal, meinen Teil dazu bei, mein Heim zu verteidigen«, rief sie aus, und Renata teilte ihren naiven Stolz.
Soviel Kraft, dachte sie, und solche Fähigkeiten. Wird sie schließlich doch alles überstehen?
Der dichte Nebel hüllte die Burg von Stunde zu Stunde mehr ein. Er schloß das, was die angreifenden Truppen unten taten, ins Dunkel. Vielleicht, dachte Allart, warten sie darauf, daß der Nebel sich hebt und sie den Angriff wieder aufnehmen können. Soweit es ihn persönlich betraf, war er vollauf zufrieden.
Nach den hektischen Anfangstagen der Belagerung wurde der LuftZauber von allen begrüßt. Als die Nacht hereinbrach und auch die Wache auf den Burgmauern wenig ausrichten konnte, aß Allart mit Cassandra in ihrem Zimmer zu Abend. In gemeinsamen Einvernehmen vermieden sie es, vom Krieg zu sprechen; es gab nichts, was sie daran ändern konnten. Cassandra ließ ihre Rryl bringen und sang ihm vor. »Am Tag unserer Vermählung habe ich gesagt«, meinte sie und blickte von ihrem Instrument auf, »daß ich hoffe, wir können in Frieden leben und Lieder singen, statt Krieg zu führen. Ach, diese Hoffnung! Aber selbst im Schatten des Krieges kann es für uns noch Lieder geben.« Er nahm ihre schmalen Finger in seine Hände und küßte sie. »Wenigstens darin waren die Götter gut zu uns«, sagte er.
»Es ist so still, Allart! Vielleicht sind sie alle in der Nacht davongezogen? Es ist so ruhig dort unten.«
»Ich wünschte, ich wüßte, was Damon-Rafael tut«, sagte Allart, jetzt erneut beunruhigt. »Ich glaube nicht, daß er sich damit zufrieden gibt, am Fuß des Hügels zu sitzen, ohne eine neue Waffe in die Lücke zu werfen.«
»Es würde dir leichtfallen, es herauszufinden«, schlug sie vor, aber Allart schüttelte den Kopf.
»Ich werde in diesem Krieg kein Laran benutzen, es sei denn, man zwingt mich dazu. Damon-Rafael soll nicht mich als Rechtfertigung anführen, um seine schreckliche Art der Kriegsführung über dieses Land zu bringen.«
Etwa um Mitternacht begann der Himmel plötzlich aufzuklaren. Der Nebel wurde dünner und dann in kleinen Fetzen fortgeblasen. Am Himmel schwebten glänzend und hell drei der vier Monde. Der violette Liriel stand voll und strahlend fast im Zenit. Der blaue Kyrrdis und der grüne Idriel hingen am Westrand des Gebirges. Cassandra schlief schon seit Stunden, aber Allart, von merkwürdiger Unruhe gepackt, schlüpfte leise aus dem Bett und in seine Kleider. Als er den Gang zur Halle hinabeilte, sah er Dorilys in ihrem langen weißen Nachtgewand, das Haar offen über die Schultern. Sie war barfuß, ihr stupsnasiges Gesicht ein bleiches Oval im trüben Licht.
»Dorilys! Was denkt Margali sich dabei, dich um diese Zeit in deinem Schlafgewand herumwandern zu lassen?«
»Ich konnte nicht schlafen, Dom Allart, und ich war unruhig«, sagte das Mädchen. »Ich gehe hinab, um Donal an der äußeren Mauer Gesellschaft zu leisten. Ich wurde wach und spürte plötzlich, daß er in Gefahr ist.«
»Wenn er wirklich in Gefahr ist, Chiya, würde er bestimmt nicht wollen, daß du an seiner Seite bist.«
»Er ist mein Gatte«, sagte das Kind fest und hob den Kopf. »Mein Platz ist an seiner Seite, Sir.«
Von der Kraft ihrer fixen Idee gelähmt, konnte Allart nichts tun. Seit er wieder mit Cassandra vereint war, hatte seine Sensibilisierung für Einsamkeit stark zugenommen. In diesem Moment wurde ihm bewußt, daß Dorilys fast völlig allein war. Sie hatte zwar die Gemeinschaft der Kinder unwiderruflich verlassen, wurde unter den Erwachsenen jedoch noch nicht als gleichwertig angesehen. Er erhob keinen Einwand, sondern bewegte sich auf
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