Herrin Der Stürme - 2
erkämpfen. Atmen! Ein und aus, denk daran, zu atmen … Er spürte wie sich ein langer, schleimiger Pflanzenarm um seinen Knöchel legte, bückte sich und löste ihn. Atmen! Er zwang sich vorwärts, selbst als die leuchtend gefärbten Fisch-Vögel sich um ihn scharten und ihre Farben vor seinen Augen zu verschwimmen begannen. Sein Laran überfiel ihn, wie immer, wenn er besorgt oder ermüdet war, und er sah sich selbst hinabsinken, hinab in Gas und Schlick, sah sich still und zufrieden dort liegen, in glücklichem Frieden ersticken, weil er vergessen hatte, wie man atmete … Atmen! Allart kämpfte, zog noch einen feuchten Atemzug des Gases ein und erinnerte sich daran, daß es sein Leben verlängerte. Die einzige Gefahr bestand darin, daß man das Atmen vergaß. Hatte Cassandra diesen Punkt schon erreicht? Lag sie schon, einen schmerzlosen, ekstatischen Tod sterbend, auf dem Grunde des Sees?
Sie wollte sterben, und ich bin schuldig … Atmen! Denk jetzt an nichts anderes, denk nur ans Atmen …
Er sah sich eine stille, leblose Cassandra aus dem See tragen. Ihr langes Haar lag schwarz und tropfend über seinem Arm … Sah, wie er sich über sie beugte, während sie in den wogenden Gräsern des Sees lag; sah sich sie in die Arme nehmend, neben ihr niedersinken …
Die Fisch-Vögel bewegten sich hektisch. Vor seinen Füßen sah er ein blasses Blau aufflackern, eine Farbe, die auf dem Grund des Sees nie zu sehen war. War es der lange Ärmel von Cassandras Gewand? Atmen … Allart beugte sich über sie. Sie lag auf der Seite, ihre Augen waren offen und regungslos. Ein schwaches, erfreutes Lächeln war auf ihren Lippen, aber sie war zu weit fort, um ihn zu sehen. Sein Herz zog sich zusammen, als er sich über sie beugte. Leicht hob er sie in seine Arme. Sie war bewußtlos, schwach, ihr Körper lehnte sich in der wogenden Umgebung schlaff gegen ihn. Atmen’. Atme in ihren Mund. Es ist das Gas unseres ausgestoßenen Atems, das den Vorgang auslöst… Allart verstärkte den Griff der Arme, legte seine Lippen auf die ihren und zwang seinen Atem in ihre Lungen. Wie im Reflex holte sie Luft, ein langer, tiefer Atemzug, und war wieder reglos.
Allart hob sie hoch. Er begann sie über den Grund des Sees zu tragen, durch das trübe wolkige Licht, das jetzt von der untergehenden Sonne rötlich gefärbt wurde, und plötzlich packte ihn Entsetzen. Wenn es dunkel wird, wenn die Sonne untergeht, werde ich den Weg zum Ufer niemals finden. Wir werden hier zusammen sterben. Er beugte sich wieder über sie und zwang seinen ausgestoßenen Atem in ihren Mund. Erneut spürte er, wie sie sich regte. Aber der automatische Atmungsmechanismus Cassandras war verschwunden. Er wußte nicht, wie lange sie ohne ihn überleben konnte, selbst mit dem Sauerstoff der reflexhaften Atemzüge, die er sie alle zwei oder drei Schritte zu nehmen zwang. Er mußte sich beeilen, bevor das Licht verschwand. Allart kämpfte sich mit ihr durch die zunehmende Dunkelheit und mußte alle zwei oder drei Schritte anhalten, um ihr wieder Leben einzuatmen. Ihr Herz schlug. Wenn sie doch nur Luft holte … Wenn er sie doch nur weit genug aus der Ohnmacht holen konnte, damit ihr klar wurde, daß sie atmen mußte …
Die letzten Schritte waren wie ein Alptraum. Cassandra war eine schlanke, zarte Frau, aber Allart war auch kein übermäßig großer Mann. Als der Nebel niedriger wurde, gab er schließlich den Versuch auf, und zerrte sie weiter, indem er sich hinabbeugte und ihr unter die Achseln griff. Alle zwei oder drei Schritte blieb er stehen, um seinen Atem in ihre Lungen zu zwingen. Endlich stieß sein Kopf wieder auf Sauerstoff, den er zitternd, mit rasselnden Lungen, einatmete. Allart zerrte Cassandra mit letzter Mühe hoch, hielt ihren Kopf aus dem nebelhaften Gas heraus, taumelte wie betäubt aufs Ufer zu und brach neben ihr auf dem Gras zusammen. Er lag da, atmete in ihren Mund und drückte ihre Rippen, bis Cassandra anfing zu keuchen und einen klagenden Schrei ausstieß, der dem eines neugeborenen Kindes, dessen Lungen sich mit dem ersten Atemzug füllten, nicht unähnlich war. Schließlich atmete sie wieder normal. Obwohl sie noch immer bewußtlos war, spürte er nach kurzer Zeit in der zunehmenden Dunkelheit, wie ihre Gedanken die seinen berührten. Dann flüsterte sie, noch immer geschwächt: »Allart? Bist du es?«
»Ich bin hier, mein Liebes.«
»Mir ist so kalt.«
Allart hob seinen Umhang auf und wickelte sie ein. Er hielt sie fest umarmt und murmelte endlose
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