Herrin des Blutes - Thriller
machten Meter um Meter gut.
Sie holten die anderen ein und setzten ihre Fahrt fort, als wäre nichts geschehen.
Kapitel 21
Der Löffel rutschte aus ihren Fingern und landete mit einem leisen Klappern auf dem kleinen Spieltisch. Die magere Ladung Kartoffelpüree klatschte auf die abgewetzte, zerkratzte schwarze Oberfläche. Ellen grapschte nach dem Löffelstiel, und es gelang ihr, ihn in einem grotesken Winkel aufzuheben und an den Mund zu führen. Diesmal traf der Löffel tatsächlich die Öffnung zwischen ihren Zähnen. Ein plumpes Triumphgeheul drang aus ihrer Kehle.
Marcy seufzte. »Immerhin etwas. Du hast zwar immer noch nichts zu essen im Mund, aber du stellst dich schon deutlich geschickter an.«
Sie setzte sich wieder auf ihren Stuhl und starrte auf das Etwas, das einmal ihre Schwester gewesen war. Das Wesen glich Ellen wie ein Ei dem anderen. Marcy war beeindruckt von dem, was Dream gelungen war – von ihrem gottgleichen Akt, Leben scheinbar aus dem Nichts zu erschaffen. Es war Alicias Idee gewesen, auszuprobieren, ob Dream auch bewusst in der Lage war, Leben zu erschaffen. So wie bei ihr. Aus einer Synthese von Erinnerungen, ihrem spirituellen Wesen und – in Ermangelung eines besseren Begriffs – Magie. Anfangs hatte Dream dem Vorschlag skeptisch gegenübergestanden, dann neugierig und schließlich begierig, die Grenzen ihrer Fähigkeiten auszuloten. Marcy war in diesem Moment so gelähmt und von Trauer erfüllt gewesen, dass sie sich dankbar an jeden Strohhalm klammerte.
Eines Nachts waren sie auf dem Weg zu diesem Haus in einem billigen Motel vor den Toren eines kleinen Kaffs mitten auf dem platten Land abgestiegen. Dream und Marcy waren gemeinsam ins Bett gekrochen. Sie hatten ihre Körper aneinandergepresst und ihre Gliedmaßen so eng wie möglich ineinander verschlungen. Da war überhaupt nichts Sexuelles zwischen ihnen gewesen, nur das instinktive Verständnis, dass sie einander so nahe wie möglich sein mussten, wenn dieser einzigartige Schöpfungsakt gelingen sollte.
Die Dunkelheit und die relative Ruhe hatten ihnen geholfen, sich zu konzentrieren. Marcy bemühte sich, ausschließlich an Ellen zu denken. Sie hatte sich ihre tote Schwester so deutlich vorgestellt, dass sie in ihrem Geist zu neuem Leben erwacht zu sein schien. Sie schlief in Dreams Armen ein, und die Gedanken an Ellen folgten ihr auf so deutliche, lebendige Weise in ihre Träume, dass sie sich ebenso real anfühlten wie im Wachzustand. Als sie im schwachen Licht des folgenden Morgens erwachte, hörte sie ein Geräusch, das wie das verängstigte Winseln eines verlorenen Welpenbabys klang. Sie hatte die Augen geöffnet und sah ihre wiedergeborene Schwester, die nackt und zusammengekauert in einer Ecke des schäbigen Motelzimmers lag.
In diesen ersten Momenten hatte sie eine unglaubliche Freude empfunden. Ein Gefühl, das im Laufe der Zeit durch das Eingeständnis ins Wanken geriet, dass das Wesen, das sie erschaffen hatten, im Grunde nichts anderes war als eine leere Hülle. Aber die zu neuem Leben erwachte Ellen schien Marcy und die anderen auf undefinierbare Weise wiederzuerkennen. Das war der winzige Hoffnungsschimmer, der ihr die Kraft gab, weiterzumachen. Dream hatte sie darum gebeten, jeden Tag mit Ellen zu arbeiten, bis sie ganz die Alte war. Marcy vertraute ihrer Freundin und schenkte ihrer Versicherung Glauben, dass das eines Tages der Fall sein würde.
Ellens dümmliche, leere Augen rangen ihr ein Seufzen ab.
Eines Tages.
Marcy zweifelte nicht an Dreams guten Absichten. In der gemeinsam verbrachten Zeit, in den oft surrealen Monaten ihrer Reise, war ein starkes Band zwischen ihnen entstanden. Das Einzige, was die Sache verkomplizierte, war Dreams beinahe konstanter Rauschzustand. Schon auf dem Weg hierher war sie meist betrunken oder zugedröhnt gewesen, aber ihre Kameradschaft hatte das Ausmaß des Problems während der Reise verschleiert. Jetzt ließ sich die Wahrheit über Dreams Abhängigkeit nicht länger leugnen. Sie umgab die mürrische Aura einer chronisch Depressiven. Offensichtlich versuchte sie, sich selbst zu therapieren. Da die Möglichkeit fehlte, einen Psychiater zu konsultieren oder sich eine andere Form von medizinischer Unterstützung zu besorgen, war das durchaus nachvollziehbar.
Aber auch dieses Wissen trug nicht dazu bei, Marcys Frustration zu zerstreuen. Ihre Freundin war eine Göttin. Oder zumindest etwas, das einem Gott sehr nahekam. Unglaublich cool oder total abgefuckt? Vermutlich traf
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