Herrin des Blutes - Thriller
Möglichkeit, ihren Verstand zu beschäftigen, der sich sonst wahrscheinlich mit weitaus beunruhigenderen Dingen befasst hätte. Irgendwann hatte sie jedoch aufgehört, die Dauer ihrer Gefangenschaft abzumessen. 14 Tage erschienen ihr realistisch. Zwei Wochen des lähmenden Dahinsiechens in Dunkelheit und Kälte.
Sie hatte es als große Erniedrigung empfunden, wieder in den hängenden Käfig gesperrt zu werden, jenes Gefängnis, aus dem sie schon einmal nach hartem Kampf entkommen war. Sie hatte ein Leben geopfert, um diese Flucht möglich zu machen, ihr Gewissen dafür geopfert. Eine Weile schien es ihr den hohen Einsatz wert gewesen zu sein. Sie hatte ihre Rache bekommen und eine gewisse Befriedigung darüber empfunden. Dann jedoch war die Befriedigung in Arroganz umgeschlagen und zog schließlich ihren Untergang nach sich.
Es wäre sinnvoll gewesen, vorsichtiger zu Werke zu gehen. Wie dumm von ihr, Schrecks Loyalität ohne den geringsten Zweifel zu akzeptieren. Dieser abscheuliche Kerl. Er trug die Schuld dafür, dass sie zum zweiten Mal in diesem entsetzlichen Gefängnis festsaß. Er hatte es vorgeschlagen, als Dream und ihre Freundinnen darüber diskutierten, was sie mit ihr anstellen sollten. Und zu Giselles Überraschung wusste er sogar, wie man die Kammer erreichte. Noch etwas, das sie in ihrer Sorglosigkeit übersehen hatte. Ein weiterer Beleg für ihre blinde Arroganz. Nun sehnte sie sich erneut nach Rache, wusste aber, dass sie diese niemals bekommen würde.
Ihre Kraft war verschwunden.
Nun, das stimmte nicht ganz. Sie schlummerte immer noch irgendwo in ihrer veränderten DNA, schwebte in den mikroskopisch kleinen Lücken zwischen den Molekülen. Sie konnte das sanfte Vibrieren in jeder Pore spüren. Es machte sie beinahe wahnsinnig, zu wissen, dass die Kraft momentan außerhalb ihrer Reichweite lag. Dream hatte dafür gesorgt, indem sie eine lähmende Energie in Giselles Körper fließen ließ – ein außergewöhnlich effektiver Zauber, der jeden ihrer Versuche vereitelte, die eigenen magischen Fähigkeiten anzuzapfen.
Die Tatsache, dass Dream in der Lage war, ihre Energie so gezielt zu leiten, war wirklich verblüffend. Sie hatte keinerlei Ausbildung genossen. Nie einen der uralten Texte gelesen, die Giselle während ihrer Zeit in Diensten des Meisters studiert hatte. Sie akzeptierte das Ausmaß von Dreams Fähigkeiten als einen genetischen Unfall, eine Laune der Natur. Ein schlafender Riese, der durch ihre Paarung mit dem Meister zum Leben erweckt worden war. Es fiel ihr jedoch schwer, zu begreifen, wie diese Frau es schaffte, ihre ungeschliffene Begabung mit solcher Präzision und Effizienz zu kontrollieren. Entweder galt hier das Sprichwort Übung macht den Meister, oder Dream verfügte über eine Art Inselbegabung. Beide Möglichkeiten verärgerten sie. Letztlich entwerteten sie ihr eigenes jahrelanges, oft ermüdendes Training.
Doch so schlimm das sein mochte, es war nichts im Vergleich zu der Hoffnungslosigkeit, die sich in ihr ausbreitete, weil Azaroth ihr den Rücken gekehrt hatte. Sie erinnerte sich an die letzte Unterhaltung mit dem Todesgott und ihre tiefe Verwirrung. Keine Worte, nur höhnisches, hallendes Gelächter. Ganz anders als bei ihren früheren Begegnungen mit dem uralten Wesen.
Vielleicht hatte er sie die ganze Zeit über manipuliert, schon vor all den Jahren, als sie seinen Namen zum allerersten Mal bei einem Blutritual anrief, nachdem sie in alten Schriften über seine Existenz gestolpert war. Das Alter der Todesgötter überstieg das menschliche Fassungsvermögen. Anzunehmen, man wüsste, warum sie taten, was sie taten, kam einer Anmaßung gleich. Gut denkbar, dass Azaroth von Anfang an mit ihr Spielchen getrieben und sie allein mit der Absicht aufgebaut hatte, sie eines Tages zu hintergehen. Ein Rädchen griff ins nächste, das nächste ins übernächste. Leid zog weiteres Leid nach sich. Seit Anbeginn der Zeit spannen die Großen Alten ihre endlosen, verworrenen Intrigen. Die Todesgötter nährten sich von diesem Leid, so viel wusste sie. Und sie nahm an, dass Azaroth sich in genau diesem Moment an ihrem Kummer weidete und den besonders reifen Geschmack ihrer Verzweiflung genoss.
Ein Impuls zwang sie, ihn erneut anzurufen. Es spielte keine Rolle, dass er ihr nicht antworten und sie bestenfalls noch einmal mit einem höhnischen Lachen bedenken würde. Jede Faser ihres Körpers sehnte sich danach, die Wahrheit zu erfahren. Sie wusste, dass ihr auch die Wahrheit keinen
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