Herrin des Blutes - Thriller
klappte den Deckel auf.
In der Kiste befanden sich eine Ansammlung verblasster Fotos und anderer Erinnerungsstücke an das Leben, das er vor so langer Zeit hinter sich gelassen hatte. Er nahm sie schon seit Jahrzehnten überallhin mit, sogar bis nach Unten, wo die meisten Verbannten ihrer persönlichen Habe entledigt worden waren. Aber auch wenn die Kiste ihm viel bedeutete, nahm er ihren Inhalt nur in seinen melancholischsten Momenten heraus, um darüber zu sinnieren. Das letzte Mal hatte er es vor über einem Jahr getan. Damals hatte er zum ersten Mal von der Bedrohung erfahren, die irgendwo da draußen lauerte.
Seitdem arbeitete er hart an der Vorbereitung für die bevorstehende Konfrontation. Das gut gesicherte Camp Whiskey war das Ergebnis dieser Arbeit. Ihr Ziel war es gewesen, eine sichere Zufluchtsstätte zu errichten, in die ihre Feinde nicht eindringen konnten. Dank der Mittel und Kontakte von Jack Paradise kam die Gemeinde in den Genuss einer kleinen, aber erstklassigen Armee. Das Camp war zweifellos der sicherste Ort für die Überlebenden von Unten. Und doch blieb stets ein Restrisiko. Jederzeit konnte etwas Unerwartetes passieren, das sie möglicherweise doch verwundbar machte.
Etwas Unerwartetes wie der Verrat von Wanda Lewis, die eine wichtige Rolle bei der Verschwörung eingenommen hatte, die der Schreckensherrschaft des Meisters schließlich ein Ende setzte. Jim fehlte die Fantasie, warum sich eine starke Frau wie sie auf die andere Seite ziehen ließ. Ihre Loyalität war für ihn eine Selbstverständlichkeit gewesen. Sie ins Boot zu holen, hatte höchste Priorität für ihn besessen. Aber es war ungewöhnlich schwierig gewesen, sie aufzutreiben, selbst im Vergleich zu anderen Überlebenden des Hauses des Blutes, die am liebsten unerkannt blieben.
Lewis war erst einen Monat vor ihrem Mordversuch an Allyson Vanover wieder aufgetaucht und hatte erklärt, sie sei damit beschäftigt gewesen, sich eine besonders hartnäckige Gruppe von Möchtegern-Attentätern vom Leib zu halten. Was ihm durchaus plausibel vorkam. Aber nach und nach kamen Jim Berichte über Wandas seltsames Verhalten zu Ohren. Sie wurde immer wieder dabei beobachtet, wie sie mit sich selbst redete und allem Anschein nach angeregte Unterhaltungen mit Leuten führte, die gar nicht da waren. Einmal hatte jemand beobachtet, wie sie im Wald ein heidnisches Gebetsritual durchführte. Dieses Verhalten hatte zwar nichts Verdammungswürdiges an sich, aber es war untypisch für die Wanda Lewis, die er kannte, und gab deshalb Anlass zur Sorge. Deshalb hatte Jack Paradise den Soldaten den Befehl erteilt, ein wachsames Auge auf sie zu werfen. Sehr zum Glück von Allyson Vanover, wie sich herausstellte.
Er war dankbar dafür, dass Allyson noch immer unter ihnen weilte. Er hatte das starke Gefühl, dass mehr hinter ihrer Geschichte steckte, als sie erzählte. Die Frage, weshalb Wanda versucht hatte, sie umzubringen, stand nach wie vor unbeantwortet in Raum und zog eine Reihe unangenehmer Fragen nach sich. Allyson war bei ihrer Schilderung des Vorfalls zu vage geblieben, um eindeutige Antworten zu liefern. Aber sein Bauchgefühl sagte ihm, dass Allyson keine Bedrohung darstellte. Es war offensichtlich, dass sie Chad liebte, und Jim spürte, dass sie einen inneren Kampf mit sich selbst ausfocht, um alles zum Besseren zu wenden. Das respektierte er.
Während er seine Erinnerungsstücke durchwühlte, größtenteils vergilbte Fotos, dachte Jim über die unzähligen Fehler nach, die er in seinem Leben begangen hatte. Ganz oben auf der Liste stand, wie immer, die impulsive Entscheidung, seine öffentliche Person zu »töten«. Er hatte sich damals völlig überfordert gefühlt. Vor allem von der Presse und ihren Lügengebilden. Von der Auseinandersetzung mit einem amerikanischen Rechtssystem, das wild entschlossen war, ihm eine harte Gefängnisstrafe für einen angeblichen Akt zivilen Ungehorsams aufzubrummen. Und von dem Druck, ein neues Album aufnehmen zu müssen, das den lächerlich übersteigerten Erwartungen nie hätte gerecht werden können.
Sein Urteilsvermögen war durch die Drogen beeinträchtigt gewesen. So stark, dass ihm die Idee, seinen eigenen Tod vorzutäuschen und von der Bildfläche zu verschwinden, als absolut vernünftiger und naheliegender Ausweg aus seiner Situation erschienen war. Er wäre gerne noch einmal in die Vergangenheit gereist und hätte sein jüngeres Ich gezwungen, eine andere Entscheidung zu treffen. In den ersten
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