Herrin des Blutes - Thriller
sie herum nur noch sehr verschwommen wahrgenommen. Sie konnte sich nur noch vage erinnern, dass sie Ursula anbrüllte, den jungen Schüler, der auf ihr lag, gewaltsam von ihr herunterriss und das Mädchen auf den Balkon zerrte. Danach verschwammen die Bilder noch mehr. Sie erinnerte sich an einige Momente ungezügelter Leidenschaft. Aber sie hatte die Kleine ziemlich hart angepackt, vielleicht sogar zu hart. Sie war wütend gewesen. Und dann …
Ein Geräusch, ein lautes Krachen, als ihre Faust auf Ursulas Kiefer trifft … das Mädchen verdreht die Augen, als ihr Körper rückwärts gegen das Balkongeländer taumelt …
Giselle riss den Kopf nach rechts und stieß einen erleichterten Seufzer aus, als sie Ursula neben sich liegen sah. Das Mädchen war nicht bei Bewusstsein, ihre Lippen hingen schlaff auf das seidene Kopfkissen. An ihrem Kiefer war ein dunkelbrauner Fleck zu erkennen und ihre Haut schien an einigen anderen Stellen durch Giselles Schläge verletzt worden zu sein. Aber davon abgesehen schien es ihr gut zu gehen. Giselle lauschte dem Geräusch ihres wild pochenden Herzens und spürte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen, als sie begriff, wie kurz sie davor gestanden hatte, ihre Geliebte zu töten.
Sie wischte sich die Tränen sofort weg. Gefühlsausbrüche waren ein Zeichen von Schwäche, und sie konnte es sich nicht erlauben, Schwäche zu zeigen. Dann erkannte Giselle, dass sie Ursula nicht die Fesseln angelegt hatte, wie sie es für gewöhnlich tat, wenn sie sich schlafen legten. Sie ärgerte sich über das Versäumnis. Sie hatte sich selbst in eine verletzliche Position gebracht, noch etwas, das sie sich nicht erlauben konnte. Etwas, das sie mit größter Disziplin zu vermeiden versucht hatte.
Bis zur letzten Nacht.
Sie setzte sich im Bett auf und betrachtete die Überreste der Orgie. Durch die körperliche Anstrengung gewannen ihre dumpf pochenden Kopfschmerzen noch an Intensität. Ihr Mund fühlte sich an wie trockenes Pergament. Sie hatte einen Kater, den ersten seit einer mittleren Ewigkeit. Sie spürte, wie Übelkeit in ihrer Kehle aufstieg, und das Gefühl wurde durch den beißenden Gestank von Pisse, Sperma und Blut noch verstärkt. Sie ärgerte sich darüber, aber nicht annähernd so sehr wie über den Anblick mehrerer bewusstloser Körper, die überall verstreut lagen.
Sämtliche abgestürzte Partygäste waren entweder vollkommen oder beinahe nackt, und einige von ihnen lagen noch immer ineinander verschlungen und waren nach dem Sex einfach eingeschlafen. Sie lagen auf dem Boden und auf den Sesseln. Ein junger Sklave hatte es sich auf einem Tisch in der Ecke der Räume, in der sich die Bibliothek befand, bequem gemacht. Einer ihrer Lehrlinge kuschelte sich nackt an ihn und schlang einen Arm um die Taille des Sklaven.
Überall war Blut. Riesige Flecken auf dem Boden und an den Möbeln. Der abgetrennte Kopf einer Sklavin war auf die Spitze eines Speers aufgespießt, der an der Wand gegenüber dem Bett lehnte. Giselle konnte sich beim besten Willen nicht erklären, wo jemand einen Speer aufgetrieben haben mochte. Aber dieses eher unwichtige Rätsel geriet sofort in Vergessenheit, als sie bemerkte, dass der dunkle Eingang zu ihrer geheimen Folterkammer offen stand. Ihr Herz raste. Sie konnte sich nicht erinnern, die Tür entriegelt zu haben. Die unnatürliche Kälte aus der Kammer kroch in ihre Gemächer herein. In ihr lag eine Drohung verborgen. Der Hauch von etwas Lebendigem, Bösartigem. Ihr erster Instinkt drängte sie, die Tür auf der Stelle zu verschließen. Aber zunächst musste sie sich vergewissern, dass in der Kammer alles an Ort und Stelle war.
Sie ärgerte sich über sich selbst, weil ihr Teile der Erinnerung fehlten. Sie hatte sich unvorsichtig verhalten. Auf unverzeihliche Weise. Die Party und spätere Orgie war Ursulas Idee gewesen. Sie war in letzter Zeit sehr launisch, geradezu reizbar, weil sie sich an den neuen Fesseln wund scheuerte. Es missfiel ihr besonders, dass sie abends gefesselt wurde, und inzwischen hatte sie auch Giselles anfängliche Versuche durchschaut, ihr den Verlust der Freiheit als perverses Sexspielchen zu verkaufen. Das Schlimmste, zumindest für Giselle, war jedoch, dass Ursula sich beim Sex nicht mehr so wild und ungehemmt verhielt wie früher, ihre Leidenschaft nur vortäuschte und sich nicht einmal allzu große Mühe gab, diese Täuschung zu verschleiern.
Anfangs versuchte Giselle, sich einzureden, dass es ihr egal war.
Aber das stimmte
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