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Herrin wider Willen

Herrin wider Willen

Titel: Herrin wider Willen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Sophie Marcus
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Auge eine Eidechse in einem Holzeimer. Er hatte sie hineingesetzt, um sie eine Weile betrachten zu können. »Zeig mal, wie sie den Schwanz verliert.« Sein Bruder hatte das gesagt. Er hatte nicht offen widersprochen, sondern getan, als hätte er aus Ungeschicklichkeit den Eimer umgestoßen. Was danach geschehen war, wusste er nicht mehr.
    Rudolph lag im Familiengrab, und Lenz konnte sich weder daran erinnern, wie sein Bruder gestorben war, noch, was er dabei gefühlt hatte.
    Dierk tat, was alle Jungen getan hätten. Er pirschte sich an eine der Eidechsen an, fing sie und brachte sie zu Lenz. »Wenn sie hinten festgehalten werden und Angst haben, werfen sie ihren Schwanz ab«, erklärte er mit leuchtenden Augen.
    Lenz nickte. »Hast du es schon einmal ausprobiert?«
    Das Leuchten in Dierks Augen wurde zu Vorsicht. Besonnen bückte er sich und ließ die Eidechse beim nächsten Stein frei, wo sie pfeilschnell unter Efeublättern verschwand. »Nein. Meine Mutter mochte es nicht, wenn man so etwas tut.«
    »Hast du deiner Mutter immer gehorcht?«
    Dierk schüttelte den Kopf und bewegte den Blick nicht von der Stelle im Efeu fort. »Ich glaube, ich gehorche ihr besser, seit sie nicht mehr lebt.«
    »Wie lange lebt sie nicht mehr?«
    »Noch kein Jahr.«
    Lenz war bei seiner Frage weitergegangen, und der Junge folgte ihm. Um von dem traurigen Thema abzulenken, weihte Lenz Dierk in die Schatzsuche ein.
    Es stellte sich heraus, dass der Junge nicht nur von dem Schatz wusste, sondern längst selbst danach gesucht hatte. Sie unterhielten sich angeregt über die Stellen, die noch als Versteck infrage kamen, während sie am Rande des Verteidigungsgrabens entlangwanderten.
    An den torlosen Seiten des Anwesens war der Graben am steilsten und tiefsten, so tief, dass sich unten Wasser gesammelt hatte.
    So hätte man immerhin den Trost, dass die Angreifer, die die schlecht bemannte Burg von dort her einnahmen, nasse Füße bekamen, dachte Lenz spöttisch. Er äußerte den Gedanken nicht. Gleichgültig wie wahrscheinlich es war, dass das Gut zum Ziel eines Angriffs wurde: die Andeutung hätte Dierk vermutlich schwer beunruhigt, allein aus Sorge um seine verehrte gnädige Frau.
    Er hätte sich diese Rücksicht sparen können, denn nur einen Moment später versetzte etwas anderes sie beide in Unruhe. Sie kamen um die vordere Ecke des Anwesens, fünfzig Schritt entfernt von der Hauptzufahrt. Unmittelbar vor dem großen Tor stand ein Mann auf dem Rücken seines Pferdes und streckte sich eben nach der Oberkante des Steinbogens über den hölzernen Torflügeln. Seine Pluderhose, das geschlitzte Hemd, Degen, Waffengurt und Hut wiesen ihn als Soldaten aus, und als keinen der ärmsten.
    Lenz zog seine Pistole und fiel in einen scharfen Schritt, ohne den aufflammenden Schmerz in seinem Bein zu beachten. Dem Soldaten war es inzwischen gelungen, sich mit einem Ellbogen auf die Kante des Torbogens emporzuarbeiten. Nur noch eine Anstrengung, und er würde zumindest in den Hof sehen können, was nicht von Vorteil für die Gutsbewohner sein würde, darauf wollte Lenz wetten.
    »Heda!« Mit der ganzen Wucht seiner Stimme versuchte er, den Fremden vom Tor hinunterzubrüllen.
    Der Mann zuckte zusammen, so gut das ging, wenn einer mit Hand und Ellbogen an einer Kante hing. Er wollte sich wieder auf sein Pferd hinunterlassen, aber das war heftiger zusammengeschrocken als er und sprang zur Seite. Lenz packte unbändiger Zorn, der ihn vorantrieb: Er kannte das Pferd. Es war die betagte, aber edle braune Stute, die er sich aus dem Stall seines Vaters geliehen hatte, um den Wagen mit seiner Truhe zumindest bis nach Munster zu bringen. Der Hengst, den er in Lübeck gekauft hatte, hatte sich nicht anspannen lassen. Der war nun tot. Wagen und Stute waren im Lager des Söldnerheeres gestohlen worden. Die Stute mochte inzwischen durch viele Hände gegangen sein. Das änderte nichts an seiner Wut.
    Der Soldat ließ das Tor los, fiel auf die Füße und stand ihm aufrecht gegenüber. Die Hände hielt er seitlich hoch, bat damit wortlos um Schonung, doch der spöttische Mund unter dem Walrossbart gefiel Lenz nicht. »Für Menschen wie Ihn gibt es hier keinen Einlass. Weder über das Tor noch durch das Tor. Sag Er mir einen Grund, warum ich Ihn nicht erschießen sollte.«
    »Vaschteh nit«, sagte der Mann. Das Spöttische trat deutlicher hervor.
    »Der Grund ist nicht gut genug.« Lenz spannte den Hahn.
    Der Mann ging rückwärts auf sein Pferd zu, die Hände weiterhin

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