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Herrin wider Willen

Herrin wider Willen

Titel: Herrin wider Willen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Sophie Marcus
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hinwegzuretten.
    Bevor er sich auf den Weg machte, lud Lenz eine Pistole und legte den Degen an. Durch das Fenster seines Zimmers sah er, dass Dierk bereits draußen in der Sonne auf dem Hof lauerte. Er vertrieb sich die Zeit damit, zwei Holzscheite in die Luft zu werfen und wieder aufzufangen. Lenz hatte ihn auch schon mit Kiefernzapfen jonglieren sehen.
    Er konnte nicht sagen, dass der Junge ihm lästig war. Gewissermaßen war er sogar dankbar für dessen Anhänglichkeit. Sie tröstete ihn darüber hinweg, dass Christopher seine Nähe nicht mehr suchte.
    Gedankenverloren stieß er beim Hinausgehen mit Grete zusammen, die einen Stapel gefalteter Laken trug. Obwohl er sie kaum berührte, erschrak sie so, dass ihr einige davon auf den Boden fielen. Er bückte sich schneller als sie und legte die Wäsche wieder obenauf. Eine Selbstverständlichkeit für jemanden, der mit wenig Standesdünkel zu Höflichkeit erzogen worden war. Sie bedankte sich mit solch auffallendem Liebreiz, dass er ihr erstaunt in die Augen sah. Was er dort fand, war schamlos kokett. Sie flatterte ihn mit ihren strohfarbenen Wimpern an, als böte sie unziemliche Ware feil. »Ich bin froh, dass Euer Gnaden wieder gesund sind. Die Treppe macht doch keine Schwierigkeiten mehr, nicht wahr? Soll ich Eure Sachen wieder nach oben schaffen? Oder lieber nicht?«
    Wie sie kokettierte! Hätte sie nicht die Laken getragen, sie hätte an ihrem Brusttuch genestelt, da war Lenz sicher. »Wenn ich nach oben zu ziehen wünschte, würde ich es sagen.« Spielerisch strich er Fältchen aus dem obersten Laken, neugierig, wie weit sie gehen würde.
    Sie lächelte. »Ich verstehe. Wollt Ihr es Euch dann hier unten nicht bequemer machen? Gnädige Frau hat sich schließlich oben auch ganz behaglich eingerichtet.«
    Ihr Ton ließ keinen Zweifel an der anzüglichen Spitze. »Hat sie?« Er war machtlos gegen den Ärger, der in ihm zu brodeln begann.
    Unter halb gesenkten Lidern sah sie ihn an, die schöne Schlange. »Das wisst Ihr bestimmt besser als ich. Ein rechtes Geheimnis macht sie nicht daraus. Es ist ja auch nichts dabei, wenn man sich so geeinigt hat. Die Liebe folgt nicht immer den Pflichten.«
    »Darüber scheint Sie sehr genau Bescheid zu wissen. Damit so plump zu hausieren, ist allerdings nicht eben gescheit. Sollte ich Sie dabei erwischen, dass Sie die Liebe über Ihre Pflichten stellt, werfe ich Sie hinaus. Bei jeder anständigen Herrschaft hätte Sie zudem gelernt, dass Ihr Geschwätz über Höherstehende nicht zusteht. Ich lasse Sie nur deshalb dieses eine Mal davonkommen, weil ich annehme, Sie weiß es nicht besser.«
    Grete war mit jedem seiner Worte dunkler rot geworden, machte am Ende auf dem Absatz kehrt und lief mit ihren Laken davon.
    Schlange, dachte Lenz auf dem Weg zu Dierk. Schlange. Aber den Stachel hatte Grete nicht erst gepflanzt. Sie hatte ihn nur tiefer hineingetrieben.
    Er wollte nicht daran denken, aber die Frage drängte sich ihm auf. Ada und Christopher im oberen Stockwerk – taten sie es oder taten sie es nicht?
    Denn inzwischen lag er abends im Kabinett wach und grübelte. Taten sie es? Dann erschienen Erinnerungsfetzen an Adas weiße Haut und tanzten mit den Worten einen Reigen. Tun sie es? Ada. Tun sie es? Jetzt? Halb wahnsinnig machte ihn das, er konnte sich noch so entschlossen sagen, dass er kein Recht hatte einzugreifen. Sie hatten alles nur zu seinem Besten arrangiert. Merkwürdig. Eine weitere quälende Sache, die zu seinem Besten getan worden war. Das schien sein Schicksal zu sein; er musste es aushalten.
    Die beiden sollten nicht dafür büßen, dass er sich in seinem Stolz verletzt fühlte. Denn das war die Erklärung für seine Gereiztheit, sagte er sich. Dass Grete und Luise die Köpfe zusammensteckten und tuschelten, er hätte sich eine Frau beschafft, um zu erben, überließe das Ehebett aber seinem Freund, der darin willkommener wäre.
    Sein Plan war würdevoller gewesen.
    Lenz’ Laune war so pechschwarz geworden, als er bei Dierk auf dem Hof ankam, dass er ihn nicht beachtete. Gehetzt hinkte er an ihm vorbei zu der niedrigen Tür hinter der Kapelle, deren Schlüssel er schließlich in einem der geheimen Schrankfächer gefunden hatte, und von dort aus zum Friedhof.
    Die Sonne heizte die alten grauen Grabsteine so auf, dass Eidechsen darauf saßen und sich wärmten. Eine Erinnerung stieg in Lenz auf. Als Kind musste er sich gelegentlich im Sommer hier zwischen den Gräbern aufgehalten haben, denn er sah vor seinem inneren

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