Herrin wider Willen
wieder anziehen, doch ganz passte die Bewegung nicht dazu. Ada überlief ein heißer Schauder, als sie begriff, und zog sich langsam wieder zurück. Ausgeschlossen, dass Lenz hier vor kurzem vorübergekommen war.
Weil sie gerade bei der Kapelle war, warf sie einen Blick hinein. Lenz dort zu finden, erwartete sie nicht. Er hatte sich bisher unbesorgt um sein Seelenheil gegeben. Nicht unbesorgter als sie selbst, wenn sie ehrlich zu sich war. Nicht einmal hatte sie in Lüneburg eine Kirche besucht. Dabei hatte sie doch noch auf dem Weg dorthin zum Himmel gefleht.
Um die Andacht nachzuholen, war es allerdings nicht der richtige Zeitpunkt. Es war finster in der Kapelle, und die Ahnengruft der von der Wenthes war ihr unheimlich. Vierzehn Kinder hatten die ersten Wenthes des Gutes gehabt, und alle lagen in der Gruft. Der größere Teil war nicht über das Kindesalter hinausgewachsen. Dennoch fühlte Ada etwas wie Neid. Sie selbst würde nicht ein einziges Kind haben, so wie sich ihr Leben entwickelte. Es sei denn, sie fand ihren Gatten und überzeugte ihn vom Gegenteil. Notfalls, indem sie sich ihm unziemlich an den Hals warf.
Sünde wäre es weniger als das, was Hans Flügge an der Mauer tat. Ihr erster Gatte hatte ihr erklärt, dass Männer ihr Bedürfnis nicht immer leicht ersticken konnten. Sie hatte daher ein gewisses Verständnis, wollte aber auf keinen Fall jemanden bei so einer sündigen Ablenkung überrumpeln. Entsprechend vorsichtig ging sie weiter. Die Stalltür bei den Milchkammern stand offen, sie schlich hinein. Hier war es dunkel, nur das Mondlicht, das durch die Tür hereinschien, machte Formen sichtbar.
Auch die alte Milchkammer war offen, und darin hörte sie Schritte hin und her tappen, ein Rascheln und das leise Scheppern eines leeren Zinnkruges, der auf Stein gestellt wurde.
Nun kam ihr der unerkannte Verbrecher in den Sinn, und sie schalt sich leichtsinnig, dass sie überhaupt in der Nacht allein herumlief. Aber da sie nun einmal dort war, wollte sie nicht feige sein. Während sie vorsichtig nähertrat, begann in der Milchkammer ein Gewisper. Obwohl ihr sogleich klar war, dass sie ihre Nase nicht weiter in die Sache hineinstecken sollte, spähte Ada um die Ecke und lauschte.
Da stand er, schräg mit dem Rücken zu ihr. Er hob die Arme und zog sein Zopfband fest, eine Geste, die sich ihr längst eingeprägt hatte.
Die hellhaarige Frau ihm gegenüber machte sich derweil an seinem Hosenbund zu schaffen und sah nichts anderes. Es war Grete. Die unwiderstehlich schöne und offensichtlich freigiebige blonde Grete.
Die Erkenntnis schnürte Ada die Kehle zu. Sie befahl sich zu gehen und konnte es nicht, stattdessen beobachtete sie, wie er Grete im Dunkeln um die Taille griff, sie auf den leeren Käsereitisch setzte, ihren Rock hochschob. Die Magd legte ihre Arme um seinen Nacken und ihre Beine um seine Hüften und ließ sich von ihm nehmen.
Stoßend und keuchend arbeitete er sich ab an ihr. Ada kehrte um und floh. Mit gerafftem Nachthemd rannte sie über den Hof, zurück ins Haus, die Treppe hoch.
Wie konnte er das tun? Wenn es nicht zu ändern war, dass er sie nicht wollte, so hätte er sich doch zurückhalten müssen, bis er fort war und nicht … Ausgerechnet diese schamlose, dreiste … schöne …
Sie zitterte und kroch voll Verzweiflung in ihr Bett zurück, das jede Wärme verloren hatte. Sie war immer allein gewesen, doch so einsam wie in dieser Nacht hatte sie sich vorher nie gefühlt.
Der Schlaf mied Ada bis zum Morgen, dann mühte sie sich nicht länger, sondern stand auf und ging in den Kleinen Saal, wo die höhergestellten Bewohner des Hauses ihre Mahlzeiten einnahmen.
Immerhin hatte die Nacht ihr die Erkenntnis eingebracht, dass ihr Gatte abscheulich war. Sie fühlte keine Neigung mehr, ihm nachzulaufen.
Deshalb war es ein neues Ärgernis, dass er ausgerechnet zu dieser Zeit schon mit Christopher und Dierk beim Frühstück saß. Sie hörte ihn durch die Tür hindurch. Es kostete sie Überwindung, aber ihre Erbitterung trieb sie vorwärts. Weit schwungvoller, als sie sich fühlte, betrat sie den Raum. »Guten Morgen.«
Christopher und Dierk grüßten lächelnd zurück.
»Hm«, sagte Lenz. Zu ihrer Genugtuung sah er noch schlechter aus, als sie sich fühlte: müde, zerknittert und ungepflegt. Ihrem Blick wich er aus.
Sie setzte sich wortlos an den Tisch und nahm Brot und Schmalz.
»Hast du mit Vogt gesprochen?«, fragte Lenz, weiterhin, ohne sie anzusehen. Er zerkrümelte dabei
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