Herrin wider Willen
seinen Satz abgebrochen. »Vorhin auf dem Feld …«, setzte er neu an, dann trat er einen Schritt näher zu ihr und schwieg wieder. Und immer noch sah er sie zweifelnd und etwas verwirrt an.
Sie hielt mit einer Hand verkrampft eine Rockfalte fest, mit der anderen richtete sie im Nacken ihre Haube. »Da haben wir großes Glück gehabt.«
»Christopher hätte sich für dich umbringen lassen.« Nachdenklich klang er, tastend.
Sie zwang sich, seinem Blick nicht auszuweichen. »Er ist sehr ritterlich.«
Er schüttelte den Kopf. »Er ist sehr …« Mit einem weiteren Schritt stand er dicht vor ihr, und sie musste zu ihm aufsehen. Ihre Hand glitt aus dem Nacken auf ihre Brust. Seine Nähe brachte ihre Haut zum Prickeln, ihre feinen Härchen stellten sich auf, und ihr Herz flatterte.
Er hob die Hände, umschloss sanft ihre Oberarme und fuhr streichelnd bis zu ihren Ellbogen herab, dann zog er sie an sich. »Ich will nicht, dass dir etwas zustößt.«
Sein Blick war zu ihren Lippen gewandert, Ada hielt die Luft an. Er wollte sie küssen, sie spürte es. Warum tat er es nicht? Sie konnte es doch nicht tun. Es gehörte sich nicht, und außerdem würde sie sich ihm auf keinen Fall aufdrängen. Er musste allein entscheiden, ob er sie wollte. Ihre Sehnsucht machte sie weich in seinem Arm, sie begann gegen ihn zu schmelzen und schloss die Augen. Wie sollte sie das aushalten?
Plötzlich ließ er sie los, wandte sich ab und ging zur Treppe, und sie wusste nicht, ob sie sich die flüchtige Berührung auf ihren Lippen nur eingebildet hatte. Sie legte die Finger darauf, als könne sie es ertasten, und stand noch eine Weile da, bevor sie ihm folgte. Es bedeutete ohnehin nichts. Er will dich nicht, sagte sie sich. Finde dich endlich damit ab.
11
In der Nacht hielten nun zwei Leute auf dem Gut Wache. Lenz, Christopher und Ada beteiligten sich nicht an diesen Diensten, doch die Frauen der Flügges und der Schwarkes, Luise und auch Wilhelm Vogt stellten sich zur Verfügung. Alle wussten, dass für die nächste Zeit tagsüber ohnehin nicht an normales Arbeiten zu denken war.
Einer der Wächter stand auf dem Turm am Haupttor, der zweite auf einer Leiter bei der kleinen Tür hinter der Kapelle. Der auf dem Turm drehte fünfmal das Uhrglas um, damit er gegen Mitternacht die Ablösung wecken konnte.
Schlaflos, wie Ada war, hätte sie gut für die ganze Nacht eine Wache übernehmen können, doch das hätte man allgemein als unpassend empfunden. Deshalb lag sie zuerst lange im Dunkeln wach, dann stand sie auf und schlüpfte in ihre Fellpantoffeln, um zur Nachtlaterne zu gehen und ihre Kerze wieder anzuzünden.
Die Laterne mit der langsam abbrennenden, rußenden großen Unschlittkerze hing oben neben der Treppe und diente weniger als Licht, als eben dazu, andere Kerzen zu entzünden. Bevor Ada den Docht an die Flamme halten konnte, hörte sie, wie unten leise eine Tür geöffnet und geschlossen wurde. Neugierig blickte sie die Treppe hinab. Ein Mann ging auf leisen Sohlen durch die dunkle Halle und zur Vordertür hinaus. Sie erkannte den dunklen Zopf und die breiten Schultern und vermutete, dass Lenz so schlaflos war wie sie.
Einen Moment zögerte sie, dann huschte sie ihm nach. Er hatte mindestens so viel Schuld an ihrer Unruhe wie die Soldaten und Marodeure. Vielleicht sprach er sich in der Dunkelheit eher mit ihr aus als bei Tag.
Es war draußen kälter, als sie gedacht hatte. Sie fing in ihrem Nachtgewand und dem dünnen Umhang sofort an zu frieren.
Lenz war auf dem Hof nicht zu sehen. Das ganze Anwesen absuchen wollte sie in der Kälte nicht. Sie hatte gedacht, dass er vielleicht die Wachen besuchen würde, doch Frau Schwarke, die den Turm vorne besetzt hatte, stand mit dem Rücken zum Hof allein da oben und tat ihren Dienst.
Ada ging in Richtung Kapelle. Der Mond war beinah voll, und der Himmel war klar, sodass es draußen heller war als drinnen.
Die Leiter bei der kleinen Tür konnte sie daher schon sehen, während sie selbst noch im Schatten zwischen Backhaus und Kapelle war. Der Wachtposten stand nicht auf der Leiter, was sie nicht überraschte. Kein Mensch hielt es aus, stundenlang auf einer Leitersprosse zu verharren. Hans Flügge war allerdings nicht weit fort, er stand mit der Schulter an die Wand gelehnt und wandte ihr ebenfalls den Rücken zu. Zuerst dachte sie, er schliefe im Stehen, den Kopf nach vorn geneigt, dann sah sie, dass er seine Hand vor sich bewegte. Als hätte er gerade Wasser gelassen und wolle sich
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