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Herrin wider Willen

Herrin wider Willen

Titel: Herrin wider Willen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Sophie Marcus
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aufgewachsen, als er’s hier wäre. Der Herr Winter, der ihn abgeholt hat, war so ein Herzensfreund von der gnädigen Frau, das hat sie mir einmal gesagt. Im Geheimen, aber nun schadet es ja wohl niemandem mehr.
    Der Junge hat nicht geweint, als er fortmusste, war ganz ernst. Fragte nur, warum die Mutter nicht mitkäme, wenn es doch in England sicherer wäre.«
    Wieder schwieg sie, bemerkte offenbar nicht, dass Adas Frage nicht beantwortet war. »Du wolltest von den anderen toten Kindern erzählen.«
    »Ah, die. Ja. Das waren die, die später kamen, nachdem Frau Agnes gestorben war. Der Graf machte es, wie sie es eben machen. Darüber spricht man ja nicht, aber wissen tun es doch alle. Erst war es Luises Mutter, denn, als die tot war, ihre große Schwester. Heinrike. Und der Herr hatte so eine Art, die Kinder nicht zu bemerken, die da auf die Welt kamen, dass es immer mal an Milch und Brot fehlte, und an Medizin sowieso. Fünf Kleine sind über die Jahre krank geworden und gestorben. Und als er mit Heinrike aneinandergeriet, hat er sie mit dem letzten Kind vom Hof gejagt, ein Junge war’s. Ich weiß nicht, was geworden ist aus den beiden.«
    Ada wäre bei diesen Enthüllungen beinah der Mund offen stehen geblieben, aber sie beherrschte sich. »Es wundert mich dann nicht, dass Luise immer so einen wütenden Eindruck macht. Weißt du denn, was mit der kleinen Aegidia ist? Ist sie auch so ein Kind, das der Herr nicht bemerkt hat?«
    Die Behnsche presste ihre faltigen Lippen zu einem spöttischen Lächeln zusammen und lachte vier-, fünfmal tonlos in sich hinein. Dabei wippte sie vor und zurück, und zum ersten Mal kamen ihre Nadeln aus dem Takt. »Wenn gnädige Frau mich fragen, ist das ein Kind, das ein anderer nicht bemerken will. Aber sicher kann man sich nicht sein. Und nu geht Ihr man zu Bett, dass Ihr nicht auch noch krank werdet.«
    Ihre Nadeln klapperten wieder gleichmäßig, sie verfiel in ihr monotones Summen, und Ada fühlte sich unmissverständlich entlassen. Für den Moment reichte ihr ohnehin, was sie gehört hatte, nun wollte sie noch dringender die Briefe lesen. Daher ging sie zum Küchenschrank und nahm eine Kerze heraus. Die Kerzen wurden knapp und sollten gespart werden, aber diesen kleinen Luxus wollte sie sich als Hausherrin gönnen. Über ihr Licht bestimmen zu können, hatte sie sich immer gewünscht.
    In Gedanken war Ada schon in ihrem Zimmer, als die Behnsche mit dem Summen wieder aufhörte und noch einmal sprach.
    »Ich frage mich nur, ob gnädige Frau Gräfin wissen, auf was gnädige Frau sich einlassen. Man sagt, Ihr würdet hierbleiben, wenn der junge Herr abreist. Werdet Ihr ohne Mann denn glücklich? Ihr werdet hier kein leichtes Leben haben.«
    Ada schob die Kerzenkiste zurück in den Schrank. »Ich habe keine Wahl. Gute Nacht, Behnsche.«
    Auf dem Weg die Treppe hinauf dachte sie darüber nach, ob sie eine Wahl hatte. In den friedlichen Zeiten, die in diesem Land fast alle nur noch vom Hörensagen kannten, hätte sie das Gut vielleicht verpachten können, sich in der Stadt ein kleines Haus einrichten und vom Zins ihres Vermögens leben, so gut eine Frau eben allein leben konnte. In den friedlichen Zeiten, in denen das möglich gewesen wäre, hätte es allerdings keine Veranlassung dazu gegeben. Dann hätte sie auch ohne Angst auf dem Gut bleiben können.
    In ihrem Zimmer vergaß sie ihre Überlegungen. Flink tauschte sie die Kerze aus, dann kroch sie mit den Briefen in der Hand unter die Bettdecke und las:
    1609
    Liebste Agnes,
    von Herzen beglückwünsche ich Dich zur Geburt Deines Sohnes. Es war mir eine große Freude, einige Geschenke für Euren Stammhalter auszusuchen, und ich hoffe, dass sie Eure Zustimmung finden. Dein Gatte muss außer sich sein vor Stolz, so rasch und ohne grässliche Komplikationen seinen Erstgeborenen von Dir erhalten zu haben. Sicher wird das Kind Euch die Nähe bringen, die Du bisher in Deiner Ehe noch ein wenig vermisst hast.
    Ich kann nur froh sein, dass diese Nähe sich zwischen Henry und mir längst eingestellt hat, obwohl ich ihn bisher nicht auf die gleiche Weise glücklich machen konnte. Von meiner letzten Fehlgeburt habe ich mich noch nicht recht erholt, weder körperlich noch in Gedanken. Vielleicht hältst Du es für albern und übertrieben sentimental, und der Vikar hielte es bestimmt für ketzerisch, aber es war mir, als hätte das Wesen, das noch gar kein Kind war, als ich es verloren habe, doch schon eine Seele gehabt. Glaubst Du, der liebe

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