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Herrmann, Elisabeth

Herrmann, Elisabeth

Titel: Herrmann, Elisabeth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeugin der Toten
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Hauptstadt.«
    Kaiserley holte Luft, um zu einer Erklärung anzusetzen, aber Merzig kam
ihm zuvor.
    »Sie beide verfolgen unterschiedliche Ziele. Herr Kaiserley will wissen,
wer die Aktion damals an das MfS verraten hat. Sie, Frau Kepler, möchten mehr
über Ihre Eltern erfahren. Vielleicht einigen Sie sich erst einmal, was Sie
eigentlich von mir wissen wollen.«
    »Wer war es?«, platzte Kaiserley heraus.
    »Eine Sekretärin. Eine der besten Quellen, die wir je hatten. Abgeschöpft
von einem Romeo mit Decknamen Saphir.«
    »Saphir ist aufgeflogen. Ungefähr ein Jahr später. Und alle seine Quellen
mit ihm.«
    »Noch so ein Punkt, verehrter Herr Kaiserley, über den wir uns streiten
könnten.«
    Judith hob die Hand. »Einen Augenblick. Bitte Klartext. Wer ist Romeo?«
    »Ein Romeo war ein im Dienst der Stasi stehender Liebhaber, der einsame
Frauen in der Bundesrepublik, vorzugsweise Damen, die in den Vorzimmern
wichtiger Herren saßen, dazu brachte, ihm Geheimnisse zu verraten.« Kaiserley
warf Merzig einen kurzen Blick zu, der zustimmend nickte. Judith entging nicht,
dass sich hier zwei gesucht und gefunden hatten. Zwar immer noch verschanzt
hinter den Fronten, aber fachlich absolut aneinander interessiert. Wieso bekam
Kaiserley so mühelos all das, was er wollte, und sie musste jeder Information
bettelnd hinterherlaufen? Merzig schien Gefallen an dem Schlagabtausch zu
finden, und Kaiserley erst recht.
    »Saphir war einer der Top-Spione. Über seine operative Tätigkeit gibt es
mehr als sechzig Akten. Es gibt nichts, was nicht bekannt wäre.«
    »Dann, Herr Kaiserley, werden Sie auch wissen, wer seine Quellen waren. So
einfach ist das.«
    »Ich habe die Akten ...«
    »So einfach ist das«, wiederholte Judith scharf Merzigs Worte. »Sie haben
Ihren Verräter. Eine Tippse. Darf ich jetzt weitermachen?«
    »Es war keine Sekretärin! Diese Aktion war konspirativ. Noch nicht einmal
der Geheimdienstkoordinator wusste, was genau geplant war.«
    Merzig paffte eine Wolke blauen Dunst an die Decke. »Da kannten Sie den Herrn
aber schlecht. Herr Kaiserley, manchmal sind die simpelsten Lösungen die
genialsten. Haben Sie den Film Romeo gesehen? Mit Martina Gedeck und Sylvester Groth? Das war Saphir.«
    »Ich kenne den Film«, sagte Judith. »Die Frau ist an der Geschichte fast
zerbrochen.«
    Merzig lächelte milde. »Glauben Sie nicht alles, was man in neunzig
Minuten erzählen kann. Jedem seinen Musikantenstadel. Wollen wir fortfahren?«
    Kaiserley nickte, er wirkte verwirrt und bedrückt. Eine Sekretärin. Ein
junges Mädchen, das von einem Stasi-Lover ins Verderben geführt wurde. Keine
Mata Hari, kein Dritter Mann. Noch nicht mal eine politische
Überzeugungstäterin. Einfach eine verliebte, naive Frau. Passte das? Er schien
nicht überzeugt.
    Merzig zog an seiner Pfeife und genoss Judiths gespannte Erwartung, bevor
er fortfuhr und sie mitnahm ins Hauptquartier der grauen Herren, die das
Schicksal ihrer Eltern vom Schreibtisch aus entschieden hatten.
     
    »Wildgruber?«
    Oberst Wildgruber war einer von Frödes Stellvertretern. Einer von der
jungen, zackigen Sorte, die anders waren als die alte Garde, die noch den Krieg
miterlebt hatte, die Nazi-Diktatur, den Untergang und den mühsamen
Wiederaufbau. Die ein neues, besseres Deutschland gewollt hatte. Eines, in dem
jeder seinen Platz hatte und es keine Klassenunterschiede gab. Das beschützt
werden musste vor den Angriffen des Klassenfeindes, der überall auf der Lauer
lag. Der das Hirn der Jugend vergiftete mit seiner imperialistischen Hetze und
johlend vor Triumph auf einem Berg Konsumgüter tanzte, die er anbetete wie neue
Götzen.
    Wildgruber war Nachkriegsgeneration. Er hatte ein glanzvolles Studium an
der Juristischen Hochschule des MfS in Potsdam-Eiche absolviert, von da an war
seine Laufbahn eine steil ansteigende Piste, die er mühelos emporpreschte und
deren Spitze er nun, in diesem Moment, in stiller Genugtuung erreichte. Er
musste nur noch auf die Überreste Frödes steigen. Es ging Wildgruber nicht um
den Sozialismus. Es ging um den Sieg. Er hätte in jedem anderen Ministerium der
Welt auch seinen Weg gemacht.
    Wildgruber räusperte sich. Wer nicht unmittelbar von den ungeheuerlichen
Vorkommnissen in der Abteilung XII betroffen war, hob das Haupt und lauschte
interessiert. Der Rest blickte paralysiert ins Nichts.
    »Uns liegen Erkenntnisse vor, dass ausgewählte Kopien der letzten
Generation unseres Mikrofilmarchivs außer Landes gebracht werden sollen.

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