Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herrmann, Elisabeth

Herrmann, Elisabeth

Titel: Herrmann, Elisabeth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeugin der Toten
Vom Netzwerk:
eingegangen. Eine eiskalte, bitterböse Ahnung stieg in ihm
hoch. Sie hatte seine Nachrichten an Angelina gelesen. Sein Handy war ein
offenes Buch. Und wenn sie noch weiter darin herumgeblättert hatte, dann wusste
sie auch von Sassnitz. Und von seinen Versuchen, das Schlimmste zu verhüten.
Und davon, dass Kaiserley gerade alles zunichtemachte.
    Kellermann ließ das Gerät fallen und trat darauf. Es flutschte zur Seite
wie ein Kirschkern. Er verfolgte es, hämmerte mit seinem Fuß auf ihm herum,
kickte es an die Wand, bis es auseinanderbrach und mit demselben Laut, mit dem
es abgeschaltet wurde, seinen Geist aufgab. Kellermann hatte den Whiskey verschüttet.
Schwer atmend schenkte er sich wieder ein. Dann ging er zu seinem
Festnetzapparat und rief Teetee an.
    »Du musst Eva finden.«
    »Was?«
    Kellermann atmete tief durch. Wie erklärte man so einem Jungen das
Unerklärbare? Dass man jemanden liebte und gleichzeitig betrog? Und dass
dadurch Dinge ans Licht gekommen waren, die sie alle vernichten würden?
    »Eva«, sagte er. »Eva Kellermann. Ich muss wissen, wo sie ist.«
    Er legte auf. Kein Geheimnis war mehr sicher.
     
    »Ein Romeo?« Judith sprang auf. Sie hatte das Gefühl, in diesem niedrigen
Zimmer zu ersticken. »Was für einen unglaublichen Scheiß erzählt ihr mir hier?
Alle beide?«
    »Er wollte nicht mehr«, sagte Kaiserley. »Also hat er uns auf einer
Fotomesse in Budapest kontaktiert. Wir brachten ihn nach Berlin und schmiedeten
dort den Plan, wie wir seine Frau, sein Kind und die Dateien aus dem Land
schaffen könnten. Anschließend kehrte er wieder in die DDR zurück und verhielt
sich weiterhin unauffällig. Wir legten die Aktion zeitgleich zur Hannover
Messe. Lindner reiste im Auftrag von VEB Carl Zeiss Jena dorthin. Ich auch. Wir
trafen uns. Er wechselte seine Identität. Ich hatte den Auftrag, ihn nach
Sassnitz zu begleiten. Ich hatte auch seinen Ausweis: Richard Borg,
schwedischer Staatsbürger mit westdeutschem Pass. So reiste er mit mir in
Westberlin ein und einen Tag später ab Bahnhof Zoo wieder aus.«
    Merzig klopfte seine Pfeife über dem Aschenbecher aus. »So wurde er zu
einem Doppelagenten. Zum Super-GAU für jeden Geheimdienst.«
    »Seit wann wussten Sie das?«, fragte Judith.
    »Seit jenem Dienstag im August.«
      
    Berlin-Lichtenberg,
Ministerium für Staatssicherheit, Normannen- Ecke Gotlindestrasse.
    Haus 22, Feldherrenhügel, 1985
     
    Die Kantine war ein heller, funktionaler Raum, unterteilt in einen
Selbstbedienungsbereich und ein Restaurant, für das man reservieren musste. Sie
bot Platz für zweihundert Gäste, war aber meistens halbleer, weil nur den
oberen Dienstgraden der Zutritt gestattet war. Merzig hatte in seinem Büro auf
Wildgruber gewartet. Gemeinsam waren sie den Hügel hinaufgegangen. »Lassen Sie.
Ich zahle.«
    Wildgruber zückte sein Portemonnaie und übernahm die Rechnung in Höhe von
zwei Mark vierundsiebzig. Er stellte auch die Teller gemeinsam auf ein Tablett,
hob es hoch und suchte einen Platz weitab von den anderen Gästen. Merzig folgte
ihm und spürte, wie sein Unwillen gegen den Mann wuchs.
    »Möchten Sie auch etwas zu trinken? Ein Radeberger?«
    »Nein, danke.«
    Wildgruber gab der Mamsell, die sich gerade auf den Weg zu ihnen gemacht
hatte, ein Zeichen. Sie drehte ab und widmete sich den anderen Gästen. Merzig
erkannte Generalmajor Henze mit Oberst Zwedylla zwei Tische weiter. Er nickte
ihm zu, aber Henze schien ihn nicht gesehen zu haben.
    »Na dann, guten Appetit.«
    Wildgruber zerteilte seine Wurst in mehrere kleine Stücke, nahm dann die
Gabel in die rechte Hand und begann zu essen.
    »Einen ganz schönen Saustall haben wir da auszumisten«, sagte er. »Geht
das schon wieder los. Ich sage nur Stiller. Ach was. Stiller hoch zehn. Hoch
hundert.«
    Werner Stiller, Oberleutnant der HV A, mit jeder Menge Unterlagen im
Gepäck Ende der Siebziger in den Westen geflüchtet. Danach kam nicht einmal
mehr eine Wespe ohne Identitätsprüfung über die Mauer. Fast fünfzig
Kundschafter hatte Stiller ans Messer geliefert.
    Merzig legte das Besteck zur Seite. Aus irgendeinem Grund schmeckte die
Thüringer nicht.
    »Fröde nimmt seinen Hut. Aber erst, wenn das in Sassnitz gelaufen ist.
Wir wollen keine Pferde scheu machen, verstehen Sie?«
    Merzigs Blick fiel auf die Glastür, die aus dem Kasino hinaus zu den
Aufzügen führte. Mehrere Wachsoldaten postierten sich dort. Das wunderte ihn.
Gab es einen unangemeldeten Besuch des Staatsratsvorsitzenden?
    »Deshalb

Weitere Kostenlose Bücher