Herrmann, Elisabeth
müssen wir wissen, wie Sie sich verhalten werden. Werden Sie die
Haftbefehle ausstellen?«
»Selbstverständlich.« Das war gar keine Frage. Merzig wunderte sich
allerdings, warum das Gespräch hier bei Tisch stattfand und nicht hinter
verschlossenen Türen.
»Dann müssen Sie sich auch genauso verhalten, wie Sie das immer getan
haben.«
Wildgruber tunkte ein Stück Wurst in seine Stampfkartoffeln. Auf dem Weg
zum Mund fiel der Brei von der Gabel zurück in die Soße. Wildgrubers weißes
Hemd bekam einige winzige Flecken.
»Oh, passiert mir ständig. Ich esse wie ein Tatar, sagt meine Mutter
immer.«
Lächelnd griff der Oberst nach einer Serviette und machte sich daran, das
Malheur zu beseitigen. Merzig versuchte es noch einmal mit seiner Wurst. Er
kaute, aber es gelang ihm kaum zu schlucken. Er schob den Teller von sich.
»Ehrlich gesagt, Genosse Wildgruber, ich weiß nicht, was Sie mit diesem
Gespräch bezwecken. Die Aufgabenstellung meiner Abteilung ist die Aufdeckung
und Abwehr geheimdienstlicher Angriffe gegen unser Land und unsere Mitarbeiter.
Haftbefehle gegen Verdächtige und der Tat Überführte sind nichts, was mein
Verhalten in irgendeiner Weise beeinflussen könnte.«
»Auch nicht, wenn es Freunde oder Verwandte beträfe?«
Merzig tupfte seinen Mund sorgfältig mit der Serviette ab. Die Frage
verwunderte ihn. Niemand aus diesem Kreis hatte Westkontakte, es sei denn, sie
waren beruflich nötig und ausdrücklich im Dienst der Feindaufklärung
erwünscht. Jeder war in der Partei. Und einige arbeiteten sogar im gleichen
Ministerium. Sein gesamtes Umfeld war bis ins Detail durchleuchtet worden. Das
geschah jährlich und folgte derselben Routine wie die ärztlichen
Untersuchungen, die Physis und Psyche gleichermaßen kontrollierten. Das
Einzige, was er nicht im Griff hatte, war sein Gewicht.
»Auch das hätte keinen Einfluss«, sagte er. »Man bricht keinen Eid.«
Wildgruber nickte. »Genauso sehe ich das auch.« Als Merzig das nächste Mal
zum Eingang schaute, waren die Wachsoldaten verschwunden.
Teetee hatte keine Chance. Das Telefon von Eva Kellermann war
abgeschaltet. Was nicht sendete, konnte auch nicht empfangen. Er wunderte sich
über den plötzlichen Richtungswechsel. Kaiserley, Kepler und jetzt die eigene
Ehefrau - war Kellermann eigentlich noch Herr der Lage? Und um welche Lage
ging es hier?
Ein melodischer Klang riss ihn aus seinen Gedanken. Die Spinnen hatten ihr
Netz gewoben, und irgendwo auf der Welt zappelte wieder etwas in der Falle.
Teetee öffnete das Fenster, las und wählte mit fliegender Hast Kellermanns
Nummer - nichts, keine Verbindung. Teetee sprang auf und lief auf den Balkon.
Von dort aus betrachtete er sein Toughbook, als wäre das Gerät selbst ein
trojanisches Pferd, mit dem der Feind sich Zugang in sein Allerheiligstes,
seine Wohnung, erschlichen hatte.
Das Handy klingelte. Obwohl der Anrufer seine Nummer unterdrückt hatte,
wusste Teetee, wer am Apparat war. Er blieb auf dem Balkon.
»Und?«, bellte Kellermann.
»Es gibt Neuigkeiten«, sagte Teetee leise.
Er wusste nicht, wie er sie seinem Chef beibringen sollte. Er wusste ja
noch nicht einmal, welches Spiel hier gespielt wurde. Er ahnte nur, dass alles
miteinander zusammenhing und dass er keine guten Nachrichten hatte.
»Ich habe das Handy Ihrer Frau gerade geortet.«
»Und? Wo ist sie?«
»In Berlin. Sie verlässt gerade den Flughafen Tegel und ist unterwegs ...
Moment...«
Er schlich vorsichtig ins Wohnzimmer und näherte sich seinem Toughbook,
wobei ihn das Gefühl überkam, es wäre ein wildes Tier und könnte ihn jederzeit
beißen. Absolut idiotisch. Er wollte das nicht mehr. Er war Techniker. Es ging
hier um Dinge, die so lange zurücklagen, dass sie nur noch als Legenden in den
langen, dunklen Kellerfluren überlebten. Es waren Geschichten aus einer Zeit,
in der das Agentenleben sich nicht in lichtdurchfluteten Feng-Shui-Büros vor
Computern abspielte, sondern in den Katakomben der alten Grenzanlagen, in Tunneln
entlang unüberwindlicher Mauern, in Gegenden, in denen eine Kugel im Kopf als
natürliche Todesursache galt. Teetee ahnte Zusammenhänge. Aber er wollte sie
nicht wissen.
»In Richtung östliche Innenstadt. Im Moment auf der B1. Und die führt nach Biesdorf. Und dort
ist Kaiserley und trinkt Kaffee bei Generalleutnant Merzig. Herr Kellermann,
was hat das zu bedeuten?« Kellermann schwieg.
»Und das ist nicht alles. Das Bewegungsprofil Ihrer Frau zeigt an, dass
Sie sich vorgestern in
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