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Herrmann, Elisabeth

Herrmann, Elisabeth

Titel: Herrmann, Elisabeth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeugin der Toten
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Hinter den Jalousien deutete sich
fahles Morgenlicht an, das es ihm erlaubte, Konturen und Umrisse zu erkennen.
Wieder hörte er das Kratzen. Es klang, als ob eine Katze sich an seinem Schloss
zu schaffen machte.
    Quirin
wusste, dass es selten Katzen waren, die vor Sonnenaufgang in anderer Leute
Wohnung eindringen wollten. Er stand auf und ging barfuß, nur mit einer weiten
Pyjamahose bekleidet, in den Flur. Kein Zweifel. Jemand versuchte, sein
Sicherheitsschloss zu knacken. Und es schien ihm zu Quirins größtem Erstaunen
auch zu gelingen.
    Wer Waffen
besaß, der benutzte sie auch. Deshalb hatte er keine im Haus. Obwohl er beim
Bund gelernt hatte, mit ihnen umzugehen, und er von Zeit zu Zeit ein Training
mit den neuesten Modellen absolvierte, verzichtete er auf das falsche Gefühl
von Sicherheit, das sie suggerierten. Er vertraute auf das Überraschungsmoment
und seine Wohnungstür.
    Sie
öffnete sich nach links. Also stellte er sich so, dass sie ihn verdecken würde,
und wartete. Ein Profi war das jedenfalls nicht. Er hörte das leise Klirren,
als ein Bund Schlüssel oder Dietriche auf den Boden fiel, und einen
unterdrückten Fluch. Ein Amateur. Vielleicht ein Jugendlicher, der schnell an
ein bisschen Bargeld kommen wollte. Warum der sich aber fünf Stockwerke nach
oben gequält hatte, anstatt das Pärchen im Hochparterre zu beehren, das die
ganze Straße gerne mit seinem zweifelhaften Musikgeschmack aus Bose-Boxen
beschallte, konnte er ihm höchstwahrscheinlich gleich persönlich erklären.
    Klirr.
Kratz. Klick. Kontakt.
    Der
Zylinder drehte sich, die Tür öffnete sich geräuschlos. Eine Gestalt,
mittelgroß und schlank, zwängte sich durch den Spalt. Quirin warf sich gegen
das Holz. Im Bruchteil einer Sekunde war der Einbrecher eingeklemmt und stieß
einen Schrei aus.
    Noch bevor
Quirin realisierte, dass er eine Frau gefangen hatte, drückte er auch schon auf
den Lichtschalter. Er hatte sie von der linken Schulter an abwärts erwischt.
Sie stöhnte und versuchte, das Türblatt wegzuschieben, vergeblich.
    »Wen haben
wir denn da?«, fragte er verblüfft und bemerkte im selben Moment, wie
großväterlich-dämlich er sich anhörte.
    »Lassen
Sie mich raus!«
    Sie war
einen Kopf kleiner als er und musste sehr sportlich sein, denn es kostete ihn
einiges an Kraft, sie in Schach zu halten. Er packte sie am rechten Arm und
zog sie unsanft in den Flur. Mit einem ärgerlichen Schmerzenslaut riss sie sich
los und rieb sich die Schulter.
    »Sonst
geht's noch, oder?«, fauchte sie.
    Der
Vorwurf kam so spontan und aus tiefstem Herzen, dass Quirin beinahe gelacht
hätte. Sie war nicht hübsch im landläufigen Sinne, nicht mehr blutjung, aber
ihre Augen funkelten vor Wut, und Angst musste ein Fremdwort für sie sein.
Offenbar hatte sie sich vor kurzem geprügelt, denn quer über ihre Wange verlief
ein tiefer Kratzer, und ihre Lippen sahen unnatürlich geschwollen aus.
Trotzdem wirkte sie nicht wie eine Diebin. Eher wie ... sein Blick fiel auf
ihre Hände. Sie waren rau und gerötet, als ob sie oft mit Chemikalien in
Berührung kam. Obwohl sie einen ziemlich ramponierten Eindruck machte, entging
ihm nicht, wie durchtrainiert sie tatsächlich war.
    »Wer sind
Sie?«, fragte er, schloss die Tür und stellte sich mit verschränkten Armen in
den Fluchtweg. Wenn sie jetzt abhauen wollte, musste sie ihn schon schachmatt
setzen. Quirin zweifelte nicht daran, dass ihr das gelingen konnte. Einen
Moment flammte sogar der Wunsch auf, sie möge es probieren. Er hatte schon
lange keinen Zweikampf mehr ausgefochten, und sie sah aus, als ob sie es
jederzeit mit ihm aufnehmen könnte.
    »Das tut
nichts zur Sache.«
    Statt
einen Ausweg zu suchen, sah sie sich aufmerksam um und ging ein paar Schritte
rückwärts den Flur hinunter, wobei ihr Blick immer wieder von ihm weg durch die
offenen Türen glitt. Gerade passierte sie das Wohnzimmer. Wohl oder übel musste
Quirin ihr folgen.
    »Da irren
Sie sich. Sie verkennen die Umstände, unter denen Sie sich Zugang zu meiner
Wohnung verschafft haben.«
    »So?«
Blitzschnell drehte sie sich um und verschwand im Schlafzimmer. Das Deckenlicht
flammte auf, und sie kam zurück.
    »Sie sind
allein?«
    »Ja«,
antwortete Quirin nur mühsam beherrscht, denn langsam verdrängte der Ärger
über den ungebetenen Besuch die Überraschung. »Nur wir beide. Sind Sie sicher,
dass Sie zu mir wollten? Man nennt das auch die Höhle des Löwen.«
    Sie kam
zurück. Ihr Blick wanderte über seine Pyjamahose. Sie rang sich

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