Herrmann, Elisabeth
Hand, dass sich der hohe Lebensstandard nicht
nur den Zuwendungen der GSH verdankte, sondern auch dem einen oder anderen
unauffälligen Stiftungsfonds aus Westdeutschland. Das Schweigen, das über
diesem Haus lag, war kostbar. In manchen Fällen auch für die Regierung, die
hier immer noch »die neue« genannt wurde.
Und kam
ein Feind und wollte die Ruhe stören, gingen sie gegen ihn vor.
Schwester
Reinhild sah auf ihre Armbanduhr. Dr. Matthes würde in fünf Minuten hier sein.
Die Tische
unter den Linden am Ufer der Isar waren fast alle voll besetzt. Es war ein
lauer Sommerabend, und Quirin fühlte sich wie im Heimaturlaub nach einem langen
Auslandseinsatz. Er war in Bayern geboren, in einem kleinen Dorf nahe der österreichischen
Grenze, und der blaue Himmel mit dieser Ahnung von Süden fehlte ihm in Berlin.
Und Gasthäuser wie der Rabenwirt. All die Strandcafes und Sea Lodges in der
Hauptstadt konnten einen ehrlichen bayerischen Biergarten nicht ersetzen.
Die Wirtin
nickte ihm freundlich zu. Er wusste nicht, ob sie ihn wiedererkannte oder ob
sie sich an sein Gesicht aus den Medien erinnerte. Sie hatten oft ihre
Lagebesprechungen bei einem Weißbier fortgesetzt. Evchen hatte immer den Tisch
ganz hinten links in der Gaststube reserviert. Man kannte die Herren aus der
Zentrale. Man war ihnen wohlgesinnt. Pullach hatte nicht viele Arbeitgeber in
der Gemeinde, deren Mitarbeiter ordentlich Spesen machten und anständige
Preise für das Bauland zahlten, auf dem sie dann ihre Einfamilienhäuser
errichteten. Inzwischen dürften die Immobilienpreise im Keller sein. Quirin
ahnte, wie hier der Umzug in die Hauptstadt aufgenommen wurde, und entschloss
sich, lieber nicht danach zu fragen. Kein gutes Thema in einem Biergarten links
der Isar.
Die Rabenwirtin
stellte zwei Weißbier ab und fragte nach ihren Wünschen aus der Speisekarte.
Teetee schüttelte den Kopf. Er hatte wohl verinnerlicht, dass man mit dem Feind
nicht aß. Sein Widerwille war kaum zu übersehen. Quirin betrachtete das immer
noch jugendlich wirkende Gesicht seines Gegenübers und erkannte erste, kleine
Fältchen um dessen Augen. Vierunddreißig Jahre alt musste Teetee jetzt sein.
Und er hatte immer noch diesen trotzigen Zug um die Lippen, an den sich Quirin
noch zu gut erinnern konnte.
Quirin
bestellte einen Brotzeitteller. Er wartete, bis die Wirtin sich anderen Gästen
zuwandte, dann legte er die Ausweise auf den Tisch.
»Nimm sie.
Sie sind sowieso nur noch Futter fürs Handygrab. «
So nannten
sie den riesigen Schredder im ersten Stock der Gesamtlage, der ganze
Aktenordner fraß und zu Staub zermahlen wieder ausspuckte. Wenn man dumm genug
war, Ausweise, Handys und Schlüssel in seiner Brusttasche zu verwahren und sich
beim Abladen zu weit vorzubeugen, fiel alles zusammen ins Mahlwerk und war
unrettbar verloren. Mit diesen Plastikkarten würden auch drei mühsam
aufgebaute Lebensläufe mit Deckadressen, Bankverbindungen und gültigen
Personalpapieren im Reißwolf verschwinden. Viel Arbeit, vernichtet in einem
Moment der Unachtsamkeit. Judith Kepler konnte sich gratulieren. Das schafften
nicht viele.
Teetee
nahm die bunten Kärtchen und steckte sie ein.
»Wo hast
du sie her? Von dieser Irren mit der Gasflasche?«
Quirin
trank einen Schluck Bier und wischte sich anschließend den Mund ab.
»Zu der
komme ich noch. Ich nehme an, Kellermann hat die Observierung der Wohnung
angeordnet.«
»Das weiß
ich nicht. Und wenn ich es wüsste, würde ich es dir nicht sagen.«
Gerade dir
nicht. Der Zusatz hing förmlich in der Luft. Quirin
nickte.
»Du
bist loyal. Anders als ich. Ich habe irgendwann begriffen, dass man
nur einem Herren dienen kann.«
»Klar. Der
inneren Stimme. Und die hat dir gesagt, dass Fehler immer nur die anderen
machen.«
»Es ging
in Sassnitz nicht um Fehler. Es ging um Verrat. Es gab drei Tote. Die Sache ist
bis heute eine der größten Niederlagen des BND im Kalten Krieg.«
»Sassnitz
hat es nie gegeben. Das ist eine der größten Lügen, die Leute wie du in die
Welt gesetzt haben. Weil sie nach dem Zusammenbruch der alten Ordnung keinen
neuen Platz mehr gefunden haben. Du bist von gestern. Sogar dein Krieg gegen
den BND ist von gestern. Du kapierst einfach nicht, dass die Zeiten sich
geändert haben!«
Quirin sah
sich um, aber der Geräuschpegel in dem Biergarten war so hoch, dass keiner
Teetees Ausbruch mitbekommen hatte.
»Ich weiß
noch, wie toll ich dich fand.« Ihm waren Quirins Blicke nicht entgangen, also
beugte er
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