Herrmann, Elisabeth
sich vor und sprach leiser. »Wie ich zu dir aufgeschaut habe. Quirin
Kaiserley, der Verrückte, der den Abzug der Russen für die CIA dokumentiert
hat. Der aus einem fahrenden Jeep Aufnahmen der Boden-Boden-Raketen gemacht
hat. Das sind Geschichten, die sie heute noch über dich erzählen. Und dann,
plötzlich, veranstaltet irgendjemand eine Gehirnwäsche mit dir, und du drehst
dich um hundertachtzig Grad.«
»Die Mauer
fiel. Wir hatten neue Erkenntnisse. Wir wurden in Sassnitz verraten.«
»Sagt das
die Stasi? Du bist verarscht worden! Es gibt keinen Maulwurf. Wir hätten ihn
schon längst gefunden. Du hast es verkackt damals. Du allein. Damit kommst du
nicht klar.«
»Ich war
nicht allein.«
Teetee,
der sein Glas erhoben hatte, setzte es wieder ab.
»Wir waren
sechs.«
*
Berlin-Dahlem,
Villa des amerikanischen Stadtkommandanten, Clayallee, 1984
Der Schnee
fiel in dicken Flocken herab und tanzte in den Lichtkegeln der
Straßenlaternen. Im Radio liefen die American Top
Forty mit Casey Käsern. »... islands in the stream,
that is what we are, no one in between, how can we be wrong ...«
Quirin
summte den Refrain mit, auch wenn er das Lied nicht mochte. Die Achtziger
bescherten den Hitparaden nur noch einfältigen Pop. Er bedauerte, dass es
nicht Samstagabend war, dann hätte er BFBS und John Peel's Music gehört. Er
fuhr über die Clayallee, vorbei an den amerikanischen Kasernen, dem Kino und
dem Post Exchange Store, kurz PX, einer Art Intershop für Armeeangehörige.
Alles streng bewacht und weitgehend vor den Blicken der Außenwelt
abgeschottet. Zehlendorf war so amerikanisch wie Spandau britisch wie
Reinickendorf französisch und der ganze Osten russisch. Die West-Alliierten
waren präsent, aber auf eine unauffällige Art in einem Paralleluniversum, das
mit dem Leben der Berliner nicht viel zu tun hatte.
Quirin war
eine Stunde zuvor mit einer Maschine der PanAm aus München in Tegel gelandet,
hatte sich einen VW Jetta gemietet und war guter Dinge, einigermaßen pünktlich
zu sein. Im Flugzeug hatte man wegen des Schnees noch ein Ausweichen nach
Hamburg in Erwägung gezogen.
Hinter der
Argentinischen Allee bog er links ab in die Villenkolonie und erreichte wenig
später einen hohen Metallzaun.
Vor dem
Rolltor warteten bereits zwei dunkle Limousinen auf ihre Abfertigung. Eine war
gepanzert und trug die britische Standarte. Christmas
caroling beim amerikanischen Stadtkommandanten. Alliiertes
Adventssingen unterm Weihnachtsbaum der Residentur, ein Muss für alle, die zur
dünnen politischen und wirtschaftlichen Elite des Westteils der Stadt
gehörten.
Quirin
wartete in seinem Jetta, bis er an der Reihe war und ein Sergeant der Military
Police seinen Ausweis und die Einladung entgegennahm. Der Brite war fertig, das
mächtige Eisentor rollte zur Seite und offenbarte einen Blick in den
verschneiten, weitläufigen Garten. Jeder Baum, jeder Strauch und jedes Fensterbrett
der Villa war mit leuchtenden Lämpchen geschmückt. Quirin kannte die Dame des
Hauses nicht, aber sie musste eine unübersehbare Affinität zu Disneyland haben.
Der Brite rollte davon in ein Delirium aus Licht.
»Mr
Kaiserley?«
Der
Sergeant tauchte wieder neben seinem Wagen auf. »Bitte folgen Sie uns.«
Der
Sergeant winkte ihn durch das Tor und wies auf einen Parkplatz. Dort standen
zwei Wagen mit Münchner Nummernschild. Kellermann und Langhoff waren also
schon da. Er parkte daneben und stieg in einen Jeep, der aus dem Nichts
aufgetaucht war. Ausweis und Einladung blieben bei der Eingangskontrolle, bis
er das Grundstück wieder verlassen würde.
Die
Lichter spiegelten sich in den schwarzen Helmen der Militärpolizisten. Sie
trugen Ärmelstulpen mit den Initialen MP, lachten fröhlich und machten einen
Scherz über die Gemeinsamkeiten zwischen der Chinesischen Mauer und der Villa
eines amerikanischen Stadtkommandanten - beides sei aus dem Weltraum zu
erkennen, und während Quirin noch mitlachte, waren sie auch schon am Hintereingang
des Souterrains angekommen. Die Polizisten übergaben ihren Schützling einem
weiteren Gl, der Galauniform trug und ihm mit seinen weißen Handschuhen den Weg
ins Innere wies.
Klavierklänge
und Gesang schwebten durchs Haus. Hark! The Herald Angels
Sing. Es roch nach warmem Essen und Zimt. Eine Treppe führte
nach oben ins Erdgeschoss, wo sich die repräsentativen Räume befanden, oder
zumindest das, was sich Amerikaner darunter vorstellten. Viel Rot, viel Gold,
viel Glas, viel Viel. Dicke
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