Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern (German Edition)
haben, so billig sind, daß man sie jederzeit vergessen und irgendwo stehenlassen kann.«
221 »Haben Sie schon einmal daran gedacht, was passiert, wenn die Krise, von der die Medien uns jeden Tag Bedenkliches ins Ohr zischeln, Ihnen tatsächlich auf den Pelz rücken sollte? Ich rede natürlich nur von denen, die über ein regelmäßiges Durchschnittseinkommen verfügen und brav ihre Steuern und Beiträge zahlen; denn allenanderen ist dieser Gedanke längst vertraut. Auch möchte ich Sie nicht mit den Nachkriegs-, Heimkehrer- und Flüchtlingsgeschichten behelligen, die zum Repertoire Ihrer Großeltern gehören.
Nur: Wie wäre es, mit der Hälfte auszukommen? Für eine solche Überlegung spricht, daß sie Ihnen eine Hintertür öffnet, und zwar die einzige, die einen Ausweg aus der Chaos-Ökonomie bietet.
Also, um nur ein paar elementare Vorschläge zu nennen: das Telephon abmelden, die Versicherungen kündigen, entbehrliche Zimmer vermieten, Auto oder Motorrad stillegen, alles überflüssige Zeug loswerden, soweit es Ihnen jemand abkauft. Kein Mineralwasser mehr, keine Restaurants, Urlaubsreisen höchstens mit der Straßenbahn, solange sie noch fährt, und ansonsten Selbstversorgung, Schwarzarbeit und Schwarzmarkt.«
»Vielleicht haben Sie recht«, wandte der Abiturient ein, der wie gewöhnlich in der ersten Reihe saß. »Aber mich erinnern solche Überlegungen an ein Trockenschwimmen.Ich glaube kaum, daß sie uns nützen, wenn es hart auf hart kommt.«
»Schon möglich«, sagte Z. »Trotzdem ist es besser, wenn man sich auf alles gefaßt macht, sogar darauf, daß es gar nicht soweit kommen wird. Ich fürchte, daß ich ohnehin zu alt bin, um mir Sorgen zu machen.«
222 An einem dieser tropischen Nachmittage im Altweibersommer lehnte Herr Z. sich auf seiner Bank zurück, schloß die Augen und murmelte, er sei zu müde, um sich mit uns zu unterhalten. Es genüge ihm, die Zeit totzuschlagen. Vielleicht könne jemand anders das Wort ergreifen und zur Abwechslung über etwas möglichst Banales sprechen.
»Ich finde den Bowler, den Sie immer tragen, unmöglich«, sagte die vorlaute Dame, die selbst bei diesem Wetter auf ihre Tweedjacke und ihre Reitstiefel nicht verzichten wollte.
»So etwas habe ich zuletzt in der Londoner City gesehen«, sagte ein anderer. »Aber das ist nun auch schon wieder zehn Jahre her.Noch dazu ist Ihr Hut braun. So etwas trägt kein Gentleman.«
»Beckett hatte eine Vorliebe für solche Kopfbedeckungen«, hielt ihm der Abiturient vor, der offenbar belesen war.
»Diesen Hut habe ich schon lange.« Z. ließ sich zu einer Erklärung herab. »Damals ging ich noch auf Reisen, wenn mir nichts Besseres einfiel. Meine Melone fand ich in La Paz. Die Frauen der Indios tragen so etwas seit Menschengedenken, niemand weiß warum. Und Sie, wissen Sie, was auf Ihrem Kopf sitzt?«
Der Angesprochene nahm seine lila Baseballkappe ab und zeigte sie vor. Auf der Stirnseite war ein eingesticktes Känguruh zu sehen und unter diesem Logo die Inschrift AVK. Auf Befragen mußte er zugeben, daß er nicht wußte, was das zu bedeuten hatte.
»Die meisten Leute gehen heutzutage ganz barhaupt«, klagte die Dame mit dem Strickzeug. »Wo sind die schönen Hüte unserer Jugend geblieben? Die mit den Teerosen und dem Schleier? So etwas gibt es nur noch im Film.«
»Mein Großvater hatte einen Chapeau
Claque im Schrank«, erzählte der diskrete Herr mit der Sonnenbrille, der sich bisher noch nie geäußert hatte. »Und wissen Sie, was er mir beibrachte? Ein endloses Chanson, von dem ich nur noch die ersten paar Zeilen weiß:
›Schön ist ein Zylinderhut,
wenn man ihn besitzen tut.
Aber von besondrer Güte,
sind doch zwei Zylinderhüte.‹«
Die Unterhaltung begann aus dem Ruder zu laufen. Jeder hatte etwas beizutragen. Der eine ärgerte sich über die monströsen Helme, zu denen die Behörden alle Radfahrer verdonnern wollen; der nächste wünschte sich mehr Turbane, der dritte trat für die Renaissance der Baskenmütze ein, und der einzige Kunsthistoriker brach eine Lanze für die Toque, die Bagneuse und den Sombrero, schreckte aber vor dem Dreispitz, dem Stahlhelm und der Burka zurück.
Z. blinzelte zufrieden in die Sonne und begnügte sich mit der Bemerkung: »Sehen Sie? Alles, was wichtig ist, kann man aufsich beruhen lassen, besonders bei dieser Hitze.«
223 Nach ein paar Tagen kehrte das Herbstwetter zurück, und sogleich erwachte Z. aus seiner schläfrigen Frivolität und fing wieder an, zu
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