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Herrndorf, Wolfgang - Sand

Herrndorf, Wolfgang - Sand

Titel: Herrndorf, Wolfgang - Sand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Troll Trollson
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Ungläubigen nannte, schien undeutlich und nebelhaft. Einerseits meinte der Fellache, ihn genau gesehen (und mannhaft mit ihm gerungen) zu haben, andererseits konnte er nichts weiter zur Person angeben, als dass sie eben «ungläubig» und «vom Himmel gefallen» gewesen sei. Es dauerte eine Weile, bis Canisades begriffen hatte, dass sich der ganze Vorgang nicht unter freiem Himmel, sondern in der Scheune abgespielt hatte, wo der Mann folglich nicht vom Himmel gefallen, sondern wohl irgendwo heruntergesprungen war.
    Während die Eigenschaft der Ungläubigkeit sich anscheinend aus der Tatsache ergab, dass er ein solches Verbrechen zu verüben imstande gewesen war. Aber das war es im Wesentlichen mit der Faktenlage. Mehr ließ sich den Tiraden des körperlich wie geistig umhertaumelnden Fellachen nicht entnehmen.
    Nachdem Canisades zum vierten oder fünften Mal die Toten zu sehen verlangt und schließlich erneut mit dem Autoschlüssel gewinkt hatte, änderte der Alte auf einmal seine Strategie, machte ein verdutztes Gesicht und zeigte sich brüsk erstaunt über das Versagen der Polizei. Vier Tage. Vier Tage habe er gewartet! Und keine Polizei. Dann seien die Ratten gekommen, die Sonne brannte, und natürlich habe er den Toten begraben! Während der andere ja in die Wüste, wie gesagt… wo er ebenfalls erschlagen … sonst wäre er ja zurückgekommen. Der Goldsohn, der Silbersohn, Licht seines Alters.
    «Aber den einen hast du begraben? Zeig mir das Grab.»
    Tränen liefen dem Alten übers Gesicht. Er sackte auf der Stelle zusammen, wiederholte, was er schon zehnmal zuvor gesagt hatte, in anderen Worten, und Canisades musste nicht lange darüber nachdenken, warum der Fellache so entsetzlich faselte: Offenbar hatte er nicht nur den ersten Sohn in der Wüste aus den Augen verloren, sondern auch keine Ahnung, wo er den zweiten begraben hatte. Entweder das … oder er hatte ihn nicht begraben.
    So ausdauernd sprach er von mit Geld nicht oder kaum aufzuwiegenden Schmerzen und anderem Unsinn, dass Canisades schließlich statt der Toten die Ausweise oder Geburtsurkunden beider Söhne zu sehen verlangte, denn er ahnte, dass es dergleichen nicht gab.
    Mit großer Zuversicht führte der Alte Canisades in die kleinste der Baracken und zeigte ihm eine Reihe von beschriebenen und bedruckten Zetteln. Canisades entzifferte fragwürdige Briefe, Flaschenetiketten, Kochrezepte und eine Fernsehzeitschrift. Der Mann war Analphabet.
    Bis auf einen schmalen Gang in der Mitte war die Baracke knietief mit Gerümpel gefüllt und stank noch schlimmer nach Alkohol als ihr Besitzer. Aus einer kleinen Kiste zog der Fellache schließlich eine Fotografie hervor und hielt sie Canisades hin: der Suq von Tindirma und eine ungeordnete Menschenmenge. Ein Händler vor einem primitiven Holzgestell, das behängt war mit Flaschen, Gläsern, Karaffen, Kanistern. Unweit des Händlers zwei kleine Kinder. Der große schwarze Daumen des Alten zitterte über den drei kleinen Gestalten hin und her. Ich. Mein Sohn. Mein anderer Sohn. Tot und verschollen.
    Beide Kinder auf dem Bild trugen Mädchenkleidung, auch ihre Gesichter waren weich und mädchenhaft. Allein der Alte sah sich selbst etwas ähnlich.
    «Geburtsurkunden», wiederholte Canisades.
    Die Meldung der seelischen Schmerzen setzte wieder ein, doch statt amtlicher Papiere tauchte am Ende allein ein stinkender Strohsack auf, der die Schlafstatt der beiden Jungen gewesen sein sollte.
    Was für den Fellachen sprach, war immerhin, dass er nach Alkohol stank und von Sünde faselte. Dass ein alter Schnapsbrenner sich grundlos die Polizei ins Haus holte, war unwahrscheinlich. Niemand holte hier freiwillig die Polizei. Die Verzweiflung des Alten war also vermutlich echt und dass zwei seiner Kinder verschwunden waren, im Bereich des Vorstellbaren. Aber mussten sie deshalb tot sein? Hatten sie überhaupt existiert? Möglicherweise, dachte Canisades beim Anblick des Fotos, waren die mädchenhaften Söhne auch schon seit Jahren verschollen oder verstorben, und nur das in Alkohol eingelegte Hirn des Alten vermeldete von Zeit zu Zeit noch einmal ihr Fortleben, Wiederauftauchen und erneutes Verschwinden. Korsakow im Endstadium.
    «Wollen wir mal die Scheune besichtigen?», schlug Canisades vor, um die Sache abzukürzen. Wie erwartet sperrte sich der Alte. Auf keinen Fall wollte er die Scheune vorzeigen. Damit konnte man den Fall getrost abschließen. Es war nicht klar, ob es ein Verbrechen gegeben hatte; aber wenn es eines

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